Freitag, 10. Mai 2019
ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS
Endlich einmal ein Spiel, in dem man nicht nur eine Person ins Gefängnis schickt und das sogar schon vor über 1000 Jahren. Der Neuseeländer Shem Phillips bewegt sich gern auf historischem Terrain, sein eigenes Land wurde erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts entdeckt, deshalb agieren bei ihm RÄUBER DER NORDSEE oder ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS.
Typisch für Phillips sind stets neue Varianten, die er dem Workerplacement-Spiel abgewinnen kann. Bei den RÄUBERn war es ein interessantes Wechselspiel von Einsetzen und wieder Wegnehmen der Wikinger. Bei den ARCHITEKTEN offeriert er eine Arbeiterflut, die suggeriert, sie ginge nie aus. 100 Arbeiter warten auf ihren Einsatz, 20 für jeden Architekten. Im Vordergrund steht die klassische Ressourcengewinnung. Zum Häuserbau und für die Kathedrale werden Holz, Lehm, Stein und Marmor benötigt, aber auch Geld und Gold. Ohne Gehilfen laufen die Bauaktionen nicht so gut, diese Lehrlinge gibt es in Kartenform genauso wie die Häuser.
Das Besondere an der Arbeiterflut ist, dass sie nicht für gegenseitige Blockade sorgt, sondern dass Arbeiter bis auf wenige Ausnahmen mehrfach auf den Einsatzorten stehen dürfen. Dadurch tritt ein kumulierender Effekt ein, der für manche Felder sogar nötig ist, um an höherwertige Produkte zu kommen. So gibt es im Bergwerk eigentlich nur Lehm, aber zwei Arbeiter finden dort auch Gold. Das simple Einsetzen ergibt eine hohe Spielfrequenz, führt aber recht schnell zu einer Arbeiterknappheit. Vier Figuren im Bergwerk, um an zwei Goldklumpen zu gelangen, reduzieren die Arbeiteranzahl schon um 20 Prozent. Genial ist die Rückführung, die sich Phillips und sein Partner Macdonald ausgedacht haben. Über den Marktplatz und gegen Bezahlung dürfen eigene und auch fremde Arbeitergruppen dem Spiel entnommen werden. Die fremden Arbeiter können außerdem noch inhaftiert werden. Im Gefängnis erhält man seine Investitionen sogar verzinst, denn der König zahlt für jeden eingelieferten Delinquenten einen Silberling.
Für den Sieg am Ende wichtig sind Punkte für unterschiedliche Gebäude, die die Architekten errichten, eventuell auch ihre Beteiligung an der Errichtung der Kathedrale. Dazu müssen Baukarten erworben werden, aber auch passende Lehrlingskarten. Daneben haben die beiden Autoren ein subtiles Einflusssystem entworfen, das sich auf der linken Spielplanhälfte abspielt. Das jeweilige Handeln wird positiv oder negativ auf einer Tugendleiste bilanziert. So bringt der Bau der Kathedrale Tugendgewinn, Steuerbetrug, zu viele Inhaftierte und Schwarzmarkt-Deals sorgen für Tugendverlust. Wer auf der Leiste absteigt, darf irgendwann nicht mehr an der Kathedrale mit bauen. Umgekehrt dürfen die tugendhaften Spieler in oberen Regionen nicht mehr auf den Schwarzmarkt gehen.
Wer weiß, dass Ehre für ihn nicht in Betracht kommt, unterstützt sein frevelhaftes Tun durch den Erwerb bestimmter Lehrlingskarten. Mit dem Illusionisten entfällt der Tugendverlust bei Schwarzmarktaktionen und mit dem Scharlatan lassen sich sogar noch zusätzliche Ressourcen verdienen, wenn man den Schwarzmarkt nutzt.
Jede Bauaktion, jeder Bauabschnitt bei der Kathedrale bringt Arbeiter ins Zunfthaus. Sobald dort der letzte Platz, abhängig von der Spielerzahl, belegt ist, wird das Spielende eingeleitet. Siegpunkte bringen der Gebäude- und Kathedralenbau, zusätzliche Punkte gibt es für Ressourcen. Schuldscheine, Arbeiter im Gefängnis und eventuell ein tiefer Stand auf der Tugendleiste führen zu Minuspunkten.
Der Spieltitel passt, Architektenarbeit steht im Vordergrund. Die Siegpunkte am Ende gibt es primär für Bautätigkeiten. Jeder entwickelt dafür eine schlanke Optimierungsmaschine, die sich an vorhandenen Baukarten und deren Ressorcenanforderungen orientiert. Strategisch ist es oft vorteilhaft, dies mit dem Verlassen des Tugendweges zu koppeln. Der Kathedralenbau ist mühsam und in den hohen Regionen nicht für alle möglich. Da bringen die dunklen Wege oft mehr Gebäude und damit mehr Siegpunkte.
Der besondere Reiz der ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS ergibt sich aus der hohen Interaktivität. Für das Spiel spricht weiterhin die leichte Zugänglichkeit. Zu dritt und zu viert, für mich die idealen Rundengrößen, dauert die Architektenrunde nicht länger als eine Stunde. Die Überlegungszeiten sind kurz, höchstens die Auswahl bei Lehrlings- und Gebäudekarten dauert mal etwas länger. Kartengrafik und Material sind hochwertig, auch die Regel ist gut strukturiert. Da nie alle Karten ins Spiel kommen, ergibt sich eine gewisse Varianz, so dass der Verzicht auf tugendhaftes Spielen nicht automatisch unterstützt wird. Grafisch gefällt mir die Umsetzung durch Mihajlo Dimitrievski gut. Seine Ikonographie ist anfangs zwar nicht immer automatisch eingängig, aber man gewöhnt sich daran.
Rundum ein gelungenes Spiel? Fast, der nicht tugendhafte Weg ist ziemlich stark, bleibt aber packend und austariert, wenn mehrere ihn gehen. Außerdem verpufft mit der Zeit die Wirkung der anfangs reizvollen Gefangennahme. Trotzdem eine beachtliche Ergänzungen der historischen Rückblicke des Autors ins 9. Jahrhundert.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS
Autoren: Shem Phillips und Sam McDonald
Grafik/Design: Mihajlo Dimitrievski
Verlag: Schwerkraft
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 1 - 5
Spielzeit: 60 - 80 Min.
Preis: ca. 50 Euro
Spiel 37/2019
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