Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Sohres Beitrag zum Kulturgut Spiel
Dem Kulturgut Spiel sieht sich Michael Sohre mit seiner Spielproduktion verpflichtet. Er durchbricht das Einerlei von Pappspielbrett, Würfeln und Plastikpöppeln.
Sein erstes Theta-Spiel befindet sich in einem außergewöhnlichen Spielekasten. Eine bedruckte Holzkassette, deren Ober- und Unterseite mit Lederriemen und Holzdübeln versehen ist, umschließt eine Sammlung von 50 Keramiksteinen, einen Wurfring aus Leder, eine Stierhornskulptur aus gebranntem Ton und natürlich eine Spielregel. Allein der haptische Reiz, ausgehend von dem Holz und Tonmaterial, ergänzt durch eine optisch ansprechende Deckelgestaltung, die zum Spielthema führt, macht MINOTAURUS zu einem Botschafter des Kulturguts Spiel.
Die Rückseite des Spielkastens führt zum Spielthema hin. Der griechischen Mythologie entnommen, geht es um die alte Minotaurus-Sage. Zu den Aufgaben des Herakles gehörte es, den Stiermenschen Minotaurus in seinem Labyrinth auf Kreta zu besiegen. Ein altes kretisches Kampfspiel fußt wahrscheinlich auf diesem mythologischen Hintergrund. Danach sollen junge Kreter einen anstürmenden Stier bei den Hörnern gepackt haben und nach einem Salto waghalsig auf seinem Rücken gelandet sein. Zurechtfinden in dem Labyrinth des Minotaurus und Geschicklichkeit sind die beiden spielerischen Elemente, die Michael Sohre aus der historisch-mythologischen Vorlage übernommen hat.
Dringen wir weiter in das Spiel vor: Die Deckelplatten zeigen auf ihren Rückseiten das Labyrinth des Minotaurus und die Phasen des Sprungs über den Stier. Den spielerischen Ariadnefaden für das Labyrinth hat der Autor in einer amüsanten Memoryvariante gefunden. Die 50 Spielsteine zeigen Stierhörner in fünf Farben. In jeder Farbe gibt es 5 linke und rechte Hörner mit Punktwerten von 1 bis 5. Spielziel ist, möglichst viele Hornpaare gleicher Farbe und Wertigkeit zu erhalten. Findet man durch Aufdecken á la Memo ein linkes und rechtes Horn einer Farbe, dürfen diese beiden Steine aus dem Labyrinthfeld herausgenommen werden. Haben die beiden Steine unterschiedliche Punktwerte, hat man sie aber noch nicht sicher. Hier kommt der Geschicklichkeitsaspekt mit ins Spiel. Ergibt sich im Spielverlauf, dass ein Mitspieler eine vergleichbare Farbkombination mit mindestens einem identischen Wertstein erhält, dann kann zum Geschicklichkeitswurf herausgefordert werden. Mit einem Lederring versuchen die beiden Kontrahenten eines der Hörner der Stierhornskulptur zu treffen, was gar nicht so einfach ist. Der Sieger erhält den gewünschten Stein. Erreicht er damit ein feste Punktkombination, ist ihm dieses Paar sicher. Je nach Geschicklichkeit kann man durch das "Ringduell" risikobereit auf höhere Kombinationen spielen oder sich sichere Punktwerte sichern.
Insgesamt besteht MINOTAURUS aus einer gelungene Mischung zwischen Memory- und Geschicklichkeitselementen, wobei die Memoryvariante den spielerisch reizvolleren Teil darstellt. Insbesondere die Konzentration auf linke und rechte Hörner einer Farbe fällt anfangs gar nicht so einfach. Spielen Kinder mit, sollte man das nicht so einfache "Ringduell" über unterschiedliche Wurfentfernungen entschärfen. Insgesamt ist MINOTAURUS als Familienspiel gut geeignet.
Strategen und ausgeprägte Gerechtigkeitsfanatiker, die auf gleiche Gewinnchancen für alle Mitspieler aus sind, werden mit MINOTAURUS unzufrieden sein. Wer neben der ästhetischen Freude an einem fantastischen Spielobjekt Spielspaß an einfachen Spielmechanismen findet, die funktionieren und zu einem durchaus spannenden Spiel führen, in dem das Würfelglück durch individuelle Stärken und Schwächen ersetzt wird, der sollte sich diesen Luxus gönnen und das Spiel direkt beim Autor bestellen.
Titel: Minotaurus
Autor: Michael Sohre
Verlag: Theta-Promotion, Johannistisch 20, 14532 Kleinmachnow
Spielerzahl: 3-5
Spieldauer: etwa 45 min
Preis: ca. 150.00 DM
(Wieland Herold)
Die Rezension erschien 1993 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Spiel 2/1993 R 18/2020