
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Auf den Sprung in die CHARTS
Der 94er Wettbewerb für Spieleautoren des Hippodice Spieleclub ist, was die vorzeigbaren Erfolge angeht, eher dürftig gewesen. Wir warten immer noch auf das herausragende Spiel dieses Jahrgangs, DAS SPIEL DER WEINBERGE von Christwart Conrad, dem nach dem misslungenen Ausflug in die Wüste (WÜSTENTRUCK) die Veröffentlichung eines wirklich guten Spieles zu gönnen ist, aber Abacus verschiebt von Halbjahr zu Halbjahr. In Anbetracht der wirtschaftlichen Situation des gesamten Spielemarktes sind aber auch solche Verlagsentscheidungen verständlich.
Nur ein Spiel dieses Wettbewerbs hat es bisher zur Marktreife gebracht. Michael Schacht, der mit seinem Spiel CHARTS immerhin bis auf Platz 5 gelangte, konnte sich in diesem Jahr über eine Veröffentlichung bei Piatnik freuen. Im Augenblick scheint der österreichische Verlag der mutigste unter den deutschsprachigen Verlagen zu sein, der immerhin noch den einen oder anderen Newcomer verlegt. Die meisten anderen Verlage setzten doch eher auf die bekannten Autorennamen. Im Rahmen des insgesamt beachtlichen 96er-Programms von Piatnik fand also auch Michael Schacht sein Plätzchen.
Optisch haben die Österreicher in diesem Jahr deutlich zugelegt. Ich denke noch mit Grausen an die verhunzte Schachtel der LEUCHTTURMARCHITEKTEN aus dem letzten Jahr, im Übrigen auch ein Wettbewerbsspiel. Michael Schacht kann mit der Umsetzung seines Spiels zufrieden sein, von zwei Unstimmigkeiten beim Spielplandruck einmal abgesehen.
Spielerisch verspricht der Verlag „ein spannendes Legespiel“ für drei bis fünf Spieler ab 12 Jahren. Als Plattenproduzenten versuchen die Spieler möglichst die Nummer 1 in den Charts zu werden. Dafür hat jeder drei Bands unter Vertrag, für die er in der ersten Spielphase Platten produzieren lässt. Plattenproduktionen sind aber recht teuer, zumal man nur mit 15 Millionen Dollar Startkapital ins Spiel geht. Knapp die Hälfte davon, nämlich 7 Mio. Dollar muss man investieren, um in die Charts zu kommen. Nicht ganz logisch, aber spieltechnisch wohl unumgänglich, gerät die Anfangsplatzierung. Alle Newcomer erwürfeln sich ihre Plätze mit einem Viererwürfel, starten also gleich ganz oben in den Charts. In der zweiten Phase können die Spieler Aktionskarten ausspielen, von denen jeder zu Beginn drei auf der Hand hat. Mit diesen Karten erhalten die Spieler Steuerungsmöglichkeiten, um ihre Position in den Charts zu verbessern. In der dritten Phase werden je nach Platzierung und Spielerzahl, die sich im Übrigen auch auf die Länge der Charts auswirkt, Gewinne ausgezahlt. Der Spitzenreiter erhält zwar kein Geld, dafür von einem verdeckten Plattenstapel eine Gold-, Silber- oder Platinplatte, die allein für das Spielende entscheiden sind.
Das Spiel gewinnt nämlich der Plattenproduzent, der sich als erster drei gleichfarbige oder verschiedenfarbige Platten erwirtschaftet hat. In einer vierten Spielphase können für 1 Mio. Dollar Aktionskarten nachgekauft werden, mehr als drei Karten darf man aber nicht auf der Hand haben. In der dann folgenden nächsten Runde wechselt der Startspieler und die vier Spielphasen wiederholen sich.
Der Spielablauf klingt rund, funktioniert auch gut, aber man hat ständig den Eindruck, dass man kaum selbst spielt, sondern meist gespielt wird. Die Einflussmöglichkeiten auf das Spiel sind einfach zu gering. Der glücksabhängige Einstieg wird durch die maximal drei Aktionskarten kaum aufgefangen, zumal diese sich zum Teil auch nur auf bestimmte Bands auswirken. Der Glücksfaktor gilt im Übrigen genauso für die Aktionskarten, da einige enorme Vorteile bringen, die ein Spieler, der schnell aus den Charts mit mehreren Bands herausgefallen ist, gar nicht mehr einholen kann. Kostenlose Plattenproduktion oder 10 Millionen, die man in der Portokasse findet, gehören zu den herausragenden Aktionskarten. Das ist bei einem Startkapital von 15 Millionen einfach zu viel des Guten und verschiebt das spielerische Gleichgewicht. Ganz absurd wird der Einsatz des Glücksfaktors beim Spielende, da rackert sich einer ab und braucht fünf Spitzenplätze, bis er die Siegbedingung erreicht hat, ein anderer hat schon beim dritten Mal seine passende Platte gezogen. Wenn er dies wenigstens durch taktisch geschickten Einsatz seiner Aktionskarten erreicht hätte, aber meistens wird er in der ersten Runde immer eine „1“ gewürfelt haben.
Ich muss gestehen, dass ich CHARTS nach dem einmaligen Spielen während des Autorenwettbewerbs 1994 in ganz guter Erinnerung hatte. Die Spieletests mit dem produzierten Spiel haben mich aber eines Besseren belehrt. Nur wer unbedingt Elton Jim oder Joe Rocker zur Goldenen Schallplatte verhelfen möchte, also Spaß an diesem Spielegenre hat, der sollte bei CHARTS zugreifen.
(Wieland Herold)
Spieletelegramm:
Titel: CHARTS
Verlag: Piatnik
Autor: Michael Schacht
Spielerzahl: 3-5
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: ca. 40 Minuten
Preis: 29.- DM
Die Rezension erschien 1996 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 6 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder
Spiel 13/1996 R 97/2020

Zum Spiel und zum Autor:
1996 war CHARTS erst das zweite Spiel, das der junge Frankfurter Autor veröffentlichen konnte. Der Grafik-Designer Schacht arbeitete in dieser Zeit für Werbeagenturen. Für seinen erfolgreichen Weg zum professionellen Spielautor spielte der Wettbewerb für Spieleautoren, den der Hippodice-Spielclub unter der Leitung Karsten Hösers veranstaltete, eine entscheidende Rolle.
Den Wettbewerb 1998 gewann er mit KONTOR (vgl. Bild von der Preisverleihung mit Karsten Höser). Mit der Umsetzung durch Goldsieber gelangte Schacht 1999 erstmalig auf die Auswahlliste für das „Spiel des Jahres“, das er dann 2007 für ZOOLORETTO gewann.