Dienstag, 19. Mai 2015
ORLÉANS
Bei aller ausländischen Konkurrenz liefern deutsche Kleinverlage immer noch die eine oder andere Überraschung ab. 2014 war es CONCORDIA vom PD-Verlag, das auf der Nominierungsliste für das „Kennerspiel des Jahrs“ landete, 2015 folgt ORLÉANS von Reiner Stockhausen diesem Vorbild. Sein dlp-Verlag startete 2009 mit den von ihm entwickelten Produkten LÜBECK und CRAZY KICK. Zwischendurch verlegte er Spiele von Martin Schlegel und Jeffrey D. Allers, die beiden Neuheiten SCHEFFELN und ORLÉANS sind wieder Entwicklung des Kleinverlegers.
ORLÉANS ist ein Schwergewicht, das von den verarbeiteten Spielideen lebt, allerdings kaum thematische Atmosphäre besitzt. In der Regel heißt es, dass die Spieler im mittelalterlichen Frankreich die Vorherrschaft auf verschiedenen Gebieten zu erringen versuchen. „Mittels Warenproduktion, Handel, Entwicklung oder Engagement fürs Gemeinwohl können Waren, Münzen und Punkte errungen werden.“ Ähnlich abstrakt darf man sich das am Spieltisch vorstellen. Die Spieler entwickeln unterschiedliche Bereiche, sammeln durch Herumreisen Waren ein und errichten Kontore. Am Ende kommt alles in einen großen Punktetopf, mathematische Formelberechnung eingeschlossen.
Klingt schrecklich öde, ist es aber überhaupt nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Aktionsauslösung an einen frischen Bagbuilding-Mechanismus gebunden ist. Zwei oder drei Figuren aus dem Säckchen sind nötig, um eine Aktion nutzen zu können. Nur vier Akteure hat man anfangs zur Verfügung. Demgegenüber steht eine Vielzahl von Optionen, mit denen weitere Figuren gewonnen werden, die dann zu Lande und zu Wasser reisen, Kontore errichten und wohltätige Werke vollziehen. Zusätzlich verstärken weitere Orte die Optionsvielfalt. Die Qual der Wahl prägt 18 Runden, die, da vieles zeitgleich erledigt wird, aber gar nicht so lange dauern.
Wege zum Sieg gibt es viele und es macht den meisten Spielrunden Spaß, immer wieder neue auszuprobieren. Es bleiben aber Fragen: Müssen es wirklich 18 Runden sein oder könnte ORLÉANS nicht schon nach 12 oder 15 beendet werden? Am Ende zieht das Spiel sich oft hin. Viele Optionen lohnen nicht mehr, Figuren sind überflüssig und nutzen auch nicht mehr für segensreiche Werke. Bei den Ereignissen, die die Runden prägen, wäre eine größere Varianz wünschenswert. Für das parallele Spielen ist eigentlich ein Sichtschirm nötig. Wer mit zwei Personen ein segensreiches Werk beenden kann, aber Letzter in der Zugreihenfolge ist, der kann sich beim offenen Spiel natürlich daran orientieren, ob andere Spieler vor ihm Ähnliches planen. Ärgerlich, wie zuletzt bei DA LUIGI, sind nachgeschobene Regeländerungen. Bei ORLÉANS trifft es das starke Badhaus, der Verlag empfiehlt inzwischen, statt drei nur zwei Plättchen nachzuziehen.
Trotz der Kritik, ORLÉANS ist ein außerordentlich gutes Spiel. Der Bagbuilding-Mechanismus trägt. Trotz Vielfalt der Aktionen bleibt das Grundgerüst einfach. Unerfahrene Spieler sind schnell beteiligt und müssen die unterschiedlichen Möglichkeiten des Spiels einfach ausloten. Das Ausprobieren lohnt! Das meint auch die Jury: „Ein toller Mechanismus, der hervorragend Glück mit kluger Weitsicht kombiniert. Die vielseitigen Planungsmöglichkeiten und schnelle Züge machen ORLÉANS zu einem faszinierenden Spiel für Strategen.“
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: ORLÉANS
Verlag: dlp games
Autor: Reiner Stockhausen
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: ca. 90 Minuten
Preis: ca. 50 Euro
ELYSIUM
Die Space Cowboys scheinen alles richtig zu machen. Bisher hat der französische Verlag erst drei Spiele veröffentlicht, zwei davon hat die Jury „Spiel des Jahres“ nominiert. Im letzten Jahr war SPLENDOR erfolgreich im Rennen um den Hauptpreis. 2015 ist ELYSIUM zum „Kennerspiel des Jahres“ nominiert.
Seit 2013 existiert der Verlag, hinter dem die Gründer von Asmodee stecken: Marc Nunes, Philippe Mouret und Croc. Für die Mitarbeit konnten sie Cyril Demaegd und Sébastien Pauchon gewinnen, die Macher von Ystari und Gameworks. Dieses Team entwickelt ein Gespür nicht nur für die richtigen Spielideen, sondern auch für die bis ins Inlet der Schachtel hinein perfekte Umsetzung. Pauchon hält hier alle Standards, die er schon bei Gameworks eingeführt hat. Für ELYSIUM konnten die Space Cowboys das noch einmal toppen, indem sie acht Grafiker für die Gestaltung von Götterwelten engagiert haben. Unabhängig vom Spielwert ist das Gesamtprodukt ein kleines Kunstwerk, unverständlich daher, dass es nicht auf der Auswahlliste für „Graf Ludo“ gelandet ist. Keines der nominierten Spiele kann mit der grafischen Umsetzung von ELYSIUM mithalten.
Zum Spielwert: Neben DEUS ist ELYSIUM das zweite Spiel aus der antiken Götterwelt auf der Liste der Jury. Die Macht der Götter wird hier aber konkreter. Sind die Spieler doch selbst Halbgötter, die ihren Platz auf dem Olymp sichern wollen. Je mehr Mythen die Halbgötter erschaffen, umso erfolgreicher buhlen sie fünf Epochen lang um den Spielsieg mit. Um Legenden zu schaffen, müssen Anhänger von Götterfamilien auf die „Insel der Seligen“ gebracht werden.
Die beiden Autoren Gilbert und Dunstan nutzen dazu einen raffinierten Erwerb von Spielkarten, die Nutzung der Effekte der Karten und ihr Abwandern zum Punktesammeln ins Elysium, was ans klassische ROMMÉ-Spiel erinnert. Die Karten stammen aus acht Götterwelten, jeweils 21 sind pro Familie im Spiel. Allerdings beschränkt sich jede Spielrunde auf die Nutzung von fünf Kartensets. Einführungspartien sollten mit den Karten für Athene, Hades, Hephaistos, Poseidon und Zeus gespielt werden. Wer es schwieriger und aggressiver mag, kann zum Beispiel die Kombination mit Apollo, Ares, Hades, Hermes und Poseidon ausprobieren.
Bei der Kartenauswahl stehen den Akteuren pro Runde das Dreifache der Spieleranzahl plus eine zusätzliche Karte zur Verfügung. Der Zugriff wird elegant mit Hilfe farbiger Tempelsäulen geregelt. Wer eine Karte erwirbt, braucht eine Säule der entsprechenden Farbe und muss danach eine beliebige von den anfangs vier Säulen abgeben. Im Blick zu behalten ist, dass die Spieler auch im Tempel eine Aufgabe übernehmen müssen, für die ebenfalls eine der Farbsäulen gebraucht wird. Die Tempelaufgabe regelt die Spielreihenfolge, liefert Geldnachschub und sorgt dafür, dass gesammelte Karten ins Elysium wandern dürfen. Das wollen die Spieler gar nicht schnell machen, da die Effekte jeder Karte nur in der aktiven Sphäre und nicht in der Unterwelt zählen. Von daher stehen alle ständig vor Konflikten: Welche Säule nehmen? Welche Karte passt zu den vorhandenen? Gehe ich aggressiver gegen die Mitspieler vor? Wann sammle ich meine Karten im Elysium? Die Varianz ist durch die unterschiedlichen Kartensätze sehr groß? Kein Spiel gleicht dem anderen. Immer wieder lässt sich die Macht der Götter neu ausprobieren, ohne dass der Reiz verlorengeht. Die Spielerkritik, die ich bisher zu hören bekam, hängt vor allem mit der Vielfalt der Karten und der damit einhergehenden langen Überlegungszeit zusammen. Einige Spieler brauchen viel Zeit, bis sie sich für eine Karte entschieden haben. Auch in der letzten Runde ist das Ganze eine Optimierungsausgabe, die Grübler am Tisch herausfordern kann.
Das Gesamtprodukt überzeugt aber. Das Regelwerk ist vorzüglich, jede einzelne Karte ist ausführlich erläutert. Hier liefern die Space Cowboys vorbildhafte Arbeit ab. Von daher bin ich gespannt, ob das Niveau auch beim vierten Spiel des Verlags, TIME STORIES, das im Herbst 2015 erscheinen wird, gehalten werden kann.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: ELYSIUM
Verlag: Space Cowboys, Vertrieb: Asmodee
Autoren: Brett J.Gilbert, Matthew Dunstan
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: ca. 60 Minuten
Preis: ca. 50 Euro
BROOM SERVICE
Was ist BROOM SERVICE? Wer es wörtlich mag: eine Art Besenservice, ein Roomservice in der Welt der Hexen, Druiden und Magier. Ausgeliefert werden die herrlichsten Zaubertränke, ruck zuck, auf dem Besen geht es ja schnell. Trotzdem geordnet, da werden fremde Ländereien nicht einfach überflogen, da wird maximal im Land und im nahen Ausland angeliefert.
Alle klar? Nun ja, bequemer hätte ich auch schreiben können: BROOM SERVICE von Alea ist ein Stichspiel mit Spielbrett, ein schwergewichtiges UGO. Oder noch einfacher: BROOM SERVICE ist die Weiterentwicklung von WIE VERHEXT, das 2008 für den Hauptpreis »Spiel des Jahres« nominiert war.
Vom Spielgefühl her hat sich wenig geändert. "Mutig oder feige?" ist immer noch die entscheidende Frage beim Ausspielen der Rollenkarten. Das Feige sein bringt nur wenig ein, aber die mutige Entscheidung kann ins Nirwana führen, wenn es andere furchtlose Hexen in der Runde gibt. Der interaktive Charakter trägt das Spiel über sieben Spielrunden und hält die Spannung hoch. Mit den Sammlern holen wir uns Kräuter für die Zaubertränke. Hexen und Druiden liefern sie gewinnbringend aus, wobei weite Wege lukrativ sein können. Die Wetterfee bekämpft störende Wolken und bringt Blitze für Siegpunkte in der Endabrechnung mit nach Hause. Alle Rollen sind wichtig, aber nur vier kommen in jeder Runde zum Einsatz. Wer den Spielplan zu lesen und die ausliegenden Ressourcen zu interpretieren versteht, wird Vermutungen über die Aktionen der Mitspieler anstellen können. Aber Hexen sind launisch und machen oft nicht das, was von ihnen erwartet wird.
Die Jury nominiert die Idee von Andreas Pelikan, der diesmal Alexander Pfister als Co-Autor dazu gewonnen hat, erneut, allerdings für das „Kennerspiel des Jahres“. In der Begründung heißt es: „Wahrlich magische Momente erlebt, wer die taktischen Vorhaben der Gegner entzaubert. Besonders schön: Zusätzliche Profi-Varianten gestalten das Spiel noch abwechslungsreicher.“ Zugegeben, das Spiel übt eine magische Faszination aus. Wer aber ein paar Mal hintereinander seinen Zauberstab zu mutig geschwungen hat, hinkt mit seinen Lieferungen schnell hinterher. Die lukrativen Türme sind beliefert, sodass nur nicht so spendable Lieferplätze bleiben. Da kann auch Frust aufkommen, im Spiel zu fünft gar Langeweile. In der Kritik ist zu Recht auch der sehr bunte Spielplan mit nicht immer eindeutigen Liefertürmen, da tauchen in Anfängerrunden stets Fragen auf. Das Spiel ist gut, keine Frage, das Spiel macht Spaß, hat Spannung, aber auch leichte Mängel.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: BROOM SERVICE
Verlag: alea/Ravensburger , Vertrieb: Heidelberger
Autoren: Andreas Pelikan, Alexander Pfister
Spieleranzahl: 2-5
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: ca. 75 Minuten
Preis: ca. 40 Euro
THE GAME
Eigentlich hat der Nürnberger Spielkarten Verlag so ziemlich alles falsch gemacht, was ein Verlag falsch machen kann. Da hat er einmal wieder von Steffen Benndorf eine wahnsinnig gute Spielidee angeboten bekommen und sich dazu nichts Dümmeres einfallen lassen, als dieses Spiel DAS SPIEL zu nennen. Auf dem deutschen Markt ist der Titel durch Reinhold Wittigs geniale Würfelpyramide besetzt, also läuft das Ganze unter dem englischen Titel THE GAME. Die Nutzer von BoardGameGeek beschweren sich schon, dass der Suchbegriff 55 Titel ergibt, erst mit dem Untertitel „Spiel … so lange du kannst!“ kommt es zur Punktlandung. Der Titel mag noch einfallslos sein, der Blick aufs Cover führt in tote Augenhöhlen. Ein Totenkopf grinst dem Betrachter außen und auf den 102 Spielkarten entgegen. Passender geht es nicht für ein rundes Familienspiel.
Dabei ist doch alles so harmonisch. Da gibt es kein Gegeneinander, nein, kooperativ arbeiten zwei bis fünf Spieler daran, 98 Karten loszuwerden. THE GAME ist eine simple Patience, bei der Karten auf zwei Stapeln aufsteigend und auf zwei weiteren absteigend gelegt werden. Mit den Werten 1 und 100 geht es doppelt los. Anfangs muss immer jeder mindestens zwei Karten möglichst mit geringen Differenzen ablegen. Sechs haben die Beteiligten auf der Hand, sobald ihr Nachzugstapel leer ist, müssen sie nur noch eine Karte legen. Neben den Ablegeregeln sind nur noch die für die Kommunikation der Gruppe wichtig. Verständigung ist notwendig, allerdings sind exakte Zahlenwerte tabu. Trotzdem gilt auch hier die alte HANABI-Regel „Was raus muss, muss raus!“
Da werden zwar keine Zahlenwerte genannt, aber dass man nah dran ist, darf man schon sagen. Ganze Reihen werden gesperrt, denn die schönste Spielregel erlaubt Zehnersprünge zurück. Da ist es dann gar nicht schlimm, wenn jemand von der 88 auf die 76 springt, weil er ja noch die 86 ausspielen kann. Solche Kettensprünge liefern die Würze in dem pfiffigen Ablegespiel. Das Spiel selbst zu besiegen, ist nicht einfach. Das hängt wie bei jeder Patience von der Kartenreihenfolge ab, allerdings ist gute Kommunikation schon hilfreich, zumindest ein respektables Ergebnis unter zehn Restkarten zu erreichen.
Die Jury „Spiel des Jahres“ hat THE GAME trotz widriger Außenumstände für den Hauptpreis nominiert. Der „Minimalismus“ begeistere, sagen die Juroren und betonen zu Recht die vielen Emotionen, die Benndorfs Spielidee erzeuge.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: THE GAME
Verlag: Nürnberger Spielkarten Verlag
Autor: Steffen Benndorf
Spieleranzahl: 1-5
Alter: ab 8 Jahren
Dauer: ca. 20 Minuten
Preis: ca. 8 Euro
MACHI KORO
Unter dem schneebedeckten Fuji, seit 2013 Weltkulturerbe, entwickeln sich blühende Landschaften. Da entstehen sehr früh ein Bahnhof und ein Einkaufszentrum, mit dem Freizeitpark dauert es länger und wenn der Fernsehturm steht, ist das Spiel auch schon zu Ende.
Masao Suganuma lässt mit vielen Spielkarten kleine Metropolen in den Auslagen der zwei bis vier Städtebauer wachsen. Anfangs reifen nur Weizenfelder, deren Korn in einer Bäckerei verarbeitet wird. Bald kommen ein Bauernhof, ein Café und ein Mini-Market dazu. Steht der Bahnhof, ist kein Halten mehr, ein Stadion und Bürohaus, Möbelfabrik und Plantagen entstehen, die anfangs genannten Großprojekte natürlich auch.
Jeder Bau bringt Einnahmen, manchmal nur im eigenen Zug, manchmal aber auch, wenn andere an der Reihe sind. Gesteuert wird das Ganze über Würfel und Würfelzahlen, die den Karten zugeordnet sind. Letztlich geht es um Geld, das aus der Bank oder von den Mitspielern bezahlt wird. Die Gewinne sind die Basis für neue Investitionen, Freizeitpark und Funkturm kosten nämlich richtig Kohle.
MACHI KORO ist ein ideales Familienspiel. Die einfache Mischung von Aufbau- und Würfelspiel ist stimmig. Alle sind involviert, Ärgerfaktoren mit eingebaut. Auf Dauer wird das Grundspiel allerdings eintönig, wenn immer alle Gebäudearten zur Verfügung stehen. Viel spannender ist die „Komme, was wolle“-Variante, die die Auslage der unterschiedlichen Gebäude um fünf auf zehn reduziert. In der für Herbst 2015 angekündigten „Großstadterweiterung“ wird es nur noch diese Variante geben.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MACHI KORO
Verlag: Kosmos
Autor: Masao Suganuma
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 8 Jahren
Dauer: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 13 Euro
COLT EXPRESS
Beeindruckend, was sich Christophe Raimbault und die Macher von Ludonaute für ihren COLT EXPRESS ausgedacht haben. Da darf ein echter Zug mit vielen Waggons und einer spektakulären Westernlokomotive überfallen werden. Filmreif, was die maximal sechs Kontrahenten in einer Spielrunde inszenieren. Sie überfallen Fahrgäste und schalten sich gegenseitig aus, um an den wertvollen Koffer des Marshalls zu kommen.
Sein persönliches Drehbuch gestaltet dabei jeder selbst. Die fünf Akte des Dramas sind aber vorgegeben. Jeder Charakter hat zehn identische Aktionskarte und einen geladenen Trommelrevolver mit sechs Patronen. Mit den Karten können sich die Gangster im Zug bewegen, auf dessen Dach klettern, Fahrgäste bestehlen, zum Faustkampf antreten und ihre Schusswaffe nutzen. Die einzelnen Szenarien geben vor, wie viele der Karten sie offen oder verdeckt ausspielen dürfen. Jeder stellt seine Vermutungen an, was andere planen, häufig wird einfach nur auf Aktionen der Mitspieler reagiert, sofern die passende Kartenoption zur Verfügung steht. Die Auswahl ist beschränkt und wird durch Treffer der Gegner sogar noch vermüllt. Wenn alle Karten gespielt sind, heißt es „Film ab!“ und die Akteure spielen die Konsequenzen ihrer eingesetzten Karten im 3D-Zug nach. Da wird Beute gesammelt, da prügeln sich die Gangster und landen den einen oder anderen Treffer. Für Überraschungen sorgt immer wieder der Marshall, der auf seinem Weg durch die Waggons allerdings seinen Koffer vergisst. Dieser wird dann über das Dach zur leichten Beute cleverer Banditen.
Oft genug läuft nicht alles, wie geplant. Der nächste Filmdreh steht aber schon an, bis am Ende Bilanz gezogen wird, wer die wertvollste Beute einsacken konnte. Zum Spielsieg ist in der Regel ein 1000er-Einkommen nötig, ohne den Titel „Revolverheld“ oder den Geldkoffer des Marschalls geht gar nichts.
COLT EXPRESS ist ein wirklich filmreifes Abenteuer am Spieltisch, das nach 45 Minuten abgedreht ist. Dem Abenteuersog dieses Wildwestzuges kann sich keiner entziehen, der einmal auf dessen Dächern herumgeturnt ist. „Diese Mischung aus Planung und Chaos hat Charme und viel Witz. Lok und Waggons als dreidimensionaler Spielplan machen COLT EXPRESS zudem zu einem echten Hingucker.“ Die Jury „Spiel des Jahres“ zeigt sich begeistert und nominiert diese „Western-Parodie“ für das „Spiel des Jahres“ 2015. Die Zeit ist reif, dass auch nicht ganz korrekte Spiele einmal ganz oben auf dem Treppchen stehen dürfen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: COLT EXPRESS
Verlag: Ludonaute, Vertrieb: Asmodee
Autor: Christophe Raimbault
Spieleranzahl: 2-6
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: ca. 40 Minuten
Preis: ca. 30 Euro
SCHATZ-RABATZ
Da will sich ein alter Piratenkapitän seinen Ruhestand mit gut gefüllten Schatztruhen versüßen. Wer ihm die vollsten Truhen bringt, hat gute Chancen, sein Nachfolger auf der Fregatte Goldscholle zu werden. Das Füllen der Schatztruhen lässt die Osnabrücker Autorin Karin Hetling in ihrem bei Noris erschienenen SCHATZ-RABATZ sehr real nachspielen. Dazu liegen 40 kleine und größere Holzschätze aus, vom winzigen Edelstein bis zum voluminösen Weinbecher, acht verschiedene Gegenstände in fünf unterschiedlichen Farben.
Gerade einmal 30 Sekunden Sandrieseln haben die kleinen Seeräuber Zeit, um ihre Kisten zu füllen. Kleine Teile passen besonders gut hinein, deshalb sind diese 20 Schätze auch am schnellsten weg. Wer Platz sparend und zügig packt, kann durchaus mehr als zehn Stücke in der Piratentruhe unterbringen. Wichtig ist allerdings, dass der Deckel gut schließt, sonst müssen mühsam erkämpfte Schätze wieder aus der Truhe entfernt werden. Für die Bilanz am Ende zählen nicht einfach die gesammelten Pretiosen, sondern nur die, die Bootsmann Jack nicht auch haben wollte. Dafür wird eine Tafel aufgedeckt, die das Interesse Jacks an meist 15 Schätzen offenbart. Nur die übrig gebliebenen Gegenstände zählen für die Endabrechnung. Der Gewinner erhält ein Puzzleteil eines Piratenschiffs. Sobald die Fregatte Bug, Heck und zwei Mittelteile besitzt, endet das Spiel. Mit nur einem Mittelteil lässt sich die Spielzeit verkürzen. Etwas ältere Piraten können mit einer offenen Jack-Karte spielen, sodass man sich orientieren kann, was Jack nicht haben will.
Karin Hetling hat ein witziges Kofferpack-Spiel in die Schatztruhe gepackt. 30 Sekunden sind wie im Fluge vorbei und in der Hektik gut zu stapeln, ist wahrlich nicht einfach. Die Variante für die älteren Kinder ist eindeutig das bessere Spiel, denn die Grundversion ist letztlich nur ein planloses Sammeln kleiner Teile und ein Ärgern über das, was Juwelen-Jack raubt.
Die Kinderjuroren „Spiel des Jahres“ haben diese Idee für das „Kinderspiel des Jahres“ 2015 nominiert. Nach ihrer Begründung erfordere „Karin Hetlings temporeiches Sammelspiel … räumliches Wahrnehmungsvermögen, schnelle Reaktionen und planvolles Vorgehen.“ Damit schaffe die Autorin Piratenatmosphäre pur für kleine und große Abenteurer.
Die 48jährige Autorin ist das Gewinnen gewohnt. 2010 hat sie den Förderpreis für Nachwuchsautoren der Jury „Spiel des Jahres“ gewonnen. 2013 gewann sie mit MAUS-GETRIXT (Ravensburger) den Kinderspielpreis As d’Or in Frankreich. 2015 kann nun der entsprechende Preis in Deutschland folgen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: SCHATZ-RABATZ
Verlag: Noris
Autor: Karin Hetling
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 5 Jahren
Dauer: ca. 20 Minuten
Preis: ca. 20 Euro
SPINDERELLA
Dreidimensional geht es in Roberto Fragas opulenten SPINDERELLA zu. Der Münchner Verlag Zoch lässt dazu eine ganze Waldlandschaft im Kinderzimmer entstehen. Auf dem Waldboden flitzen kleine Ameisen herum, um von der einen Seite zur anderen zu gelangen. Nicht ungefährlich für sie, denn über ihnen schwebt ein großes Spinnennetz als Walddach.
Die fetten Spinnen Roberto und Klaus bewegen sich dort auf einer Art Halmanetzplan. Ihre kleine Schwester Spinderella kann sich über eine Magnetaufhängung mit Seilvorrichtung durch die Bewegung ihrer Brüder abseilen und die Ameisen am Weiterkommen hindern. Sowohl Ameisen als auch die Spinnen werden durch Würfel aktiviert, das gilt auch für einen Baumstumpf, der schützend über eine Ameise gestülpt werden kann. Die Ameisenjagd endet, sobald drei Ameisen das Ziel erreicht haben.
SPINDERELLA gehört sicherlich zu den innovativsten Spielen in diesem Jahr. Roberto Fragas Idee führt zu einem faszinierenden Spielabenteuer, das schon für den Toy Award in Nürnberg nominiert war. Seit Mai ist die Ameisenjagd auch für das „Kinderspiel des Jahres“ 2015 nominiert. Für die Kinderjuroren zieht „der doppelbödige Mechanismus mit Magnetkraft … Spieler magisch an. Der Autor Roberto Fraga gewinnt dem klassischen Laufspiel eine neue Ebene ab. Die lauernde Spinne direkt über dem Ameisentreck sorgt für ein permanentes Kribbeln. Ärgere ich mit ihr die Mitspieler? Oder bringe ich meine Ameisen ins sichere Ziel? Diesem packenden Spielprinzip ordnet sich das tolle Material jederzeit unter.“ Der Begeisterung kann ich weitgehend zustimmen, der Magnetismus, der hier als Zug- und Einfangmechanismus genutzt wird, ist aber für Kinder ab sechs Jahren erst einmal gewöhnungsbedürftig, auch die Regel kommt nicht ganz so organisch daher, wie das bei den beiden anderen nominierten Spielen der Fall ist. Ein gutes Spiel, aber kein sehr gutes! Gereicht hat es trotzdem für SPINDERELLA, das am 08. Juni in Hamburg zum "Kinderspiel des Jahres" 2015 gewählt wurde. Eine nachvollziehbare Entscheidung für das innovativste Spiel im Wettbewerb um den Hauptpreis.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: SPINDERELLA
Verlag: Zoch
Autor: Roberto Fraga
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 6 Jahren
Dauer: ca. 20 Minuten
Preis: ca. 30 Euro
Push a Monster
Mit PUSH A MONSTER von Queen Kids ist Wolfgang Dirscherl, einst Haba-Redakteur, und dem Österreicher Manfred Reindl ein monstermäßiges Spiel gelungen. Das Autorenteam lässt große und kleine Ungetüme in einer leicht erhöhten Monsterarena aufeinandertreffen. Klar, dass es dabei zu Rangeleien kommt, das ist auch der Sinn der Spielidee.
Mit zwei kleinen Schiebern agieren bis zu vier Kinder langsam, vorsichtig und möglichst geschickt, um das ein oder andere Ungeheuer noch auf der Plattform unterzubringen. Fällt dabei ein Monster heraus, ist das Kind, das am Schieben war, nicht gleich ausgeschieden. Die Autoren haben sich eine friedlichere Lösung ausgedacht: Sie belohnen alle anderen Beteiligten, denn diese erhalten ein entsprechendes Plättchen des Monsters, das die Arena verlassen musste. Wer am Ende die längst Monsterreihe vorweisen kann, gewinnt nach etwa 15 Minuten dieses spannende Geschicklichkeitsspiel.
PUSH A MONSTER ist nicht nur ein raffiniertes Schiebespiel, je älter die Kinder sind, desto mehr werden sie merken, dass diese Schieberei viele taktische Elemente enthält. Kleine Monster kippen zu lassen, ist natürlich günstiger als große.
Die Kinderjuroren der Jury „Spiel des Jahres“ sind überzeugt von dieser Idee, die unter den drei Nominierten für das „Kinderspiel des Jahres“ 2015 auftaucht. Entsprechend positiv lautet das Resümee der Juroren: „Stabiles Material, klares Regelwerk, ansprechende Grafik und ein neues Spielerlebnis – hier stimmt einfach alles.“ Dem kann ich mich nur anschließen!
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: Push a Monster
Verlag: Queen Kids
Autor: Wolfgang Dirscherl, Manfred Reindl
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 5 Jahren
Dauer: ca. 15 Minuten
Preis: ca. 29 Euro
(Seite 1 von 1, insgesamt 9 Einträge)