Dienstag, 3. August 2021
H2OLLAND
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Im Märzen der Bauer ...
Wacklige Windmühlen in H2OLLAND
Zumindest für das Cover gebührt CardChess Lob. H2OLLAND, das gemeinsame Spiel des Kanadiers Jeff Widderich und des Holländers Richard van Vugt fängt so ziemlich alles ein, was wir mit unserem Nachbarland verbinden. Windmühlen, Tulpen, Kanäle, vielleicht fehlt uns Deutschen nur Antje. Das Schachtelgemälde fängt diese Stimmung wunderschön kitschig ein, „zu Ehren einer Nation“, wie es in der Spielregel aufgesetzt nationalistisch heißt. Wohlgemerkt, es geht nicht um Fußball, sondern um eine idyllische Landschaft rund um einen See und die Holländer tun das, was sie seit Jahrhunderten gut verstehen, sie deichen ein, sie legen trocken und pflanzen Tulpen. Um das alles machen zu können, haben die beiden Autoren eine große quadratische Spieleschachtel proppenvoll gepackt, zumindest das hat alles Gewicht, wenn es auch spielerisch am Ende eher leichtgewichtig scheint.
Zu Spielbeginn erhält jeder Spieler eine Scheunenkarte zum Ablegen seiner Vorräte, gleichzeitig ist diese Karte Preistafel und Entwicklungsübersicht für den Tulpenanbau. Geld scheint in H2OLLAND verpönt, es herrscht Tauschwirtschaft, für Karotten, Bohnen und Kühe rückt der Bankverwalter, „Leiter der Kooperative“ heißt er im Spiel, eine Mühle raus. Mit zwei Bauernhöfen und zwei Windmühlen starten die Spieler aber schon, die Ausgangsdörfer am Rande des großen Sees werden mit jeweils einem Gebäude ausgestattet, die beiden anderen kommen in die Scheune (!). Zusätzlich erhält jeder einmal die Produktionspalette, die das Spiel bietet: Kühe, Mais, Bohnen, Karotten und Kartoffeln. Da es um naturnahen Anbau geht, sucht man natürlich die holländischen Tomaten vergeblich. Zum Start werden noch Wetterkarten bereit gelegt, die im Herbst wirksam werden, der Startspieler erhält einen gelben holländischen Holzschuh, den Klompen.
Das Spiel verläuft in Jahreszeiten, reihum dürfen die Spieler immer wieder einmal agieren, erst wenn alle gepasst haben, wechselt die Jahreszeit. Klar, im Märzen der Bauer sein Land bebaut. Daneben finden im Frühjahr weitere Bautätigkeiten statt, in dieser Jahreszeit dürfen weitere Bauernhöfe und Windmühlen erstellt werden. Dabei sind unendlich viele Legeregeln zu beachten. Ich dachte, wir Deutschen seien regelwütig, die holländisch-kanadische Perfektion übertrifft aber alles. Beispiel zu den Windmühlen gefällig:
„... Windmühlen dürfen nicht auf Kuh-, Feldfrucht- oder Tulpenfelder gestellt werden. ...
Windmühlen können neben einem Bauernhof oder neben einer anderen Windmühle desselben Spielers gebaut werden.
Windmühlen dürfen auch neben ein Kuh- oder Feldfruchtplättchen gestellt werden, das mit einem Bauernhof oder einer anderen Windmühle dieses Spielers verbunden ist.
Windmühlen können neben einem Tulpenfeld erbaut werden, das mit einem Arbeiter der eigenen Farbe besetzt ist (‚die Arbeiter’ siehe weiter unten).
Windmühlen dürfen nicht in die Schutzzonen eines anderen Spielers gesetzt werden.“
Verstanden? Wenn Sie dann noch die überdimensionierten Windmühlen sähen, dann würden Sie am liebsten ganz auf den Windmühlenbau verzichten. Denn, stehen die Dinger einmal, müssen schon Uhrmacher ans Werk, um die restlichen Auslagen ohne umstürzende Windmühlen hinzubekommen. Gebaut werden müssen Sie aber, denn sonst klappt es nicht mit der Entwässerung des Windmühlensees.
Das Grundprinzip ist klar, geregelt wird alles, auch die Platzierung der Bauernhöfe, der Feldfrüchte, der Kuhweiden und der Tulpenfelder. Apropos Tulpenfelder, da war doch die Rede von Arbeitern. Für jedes Tulpenfeld gibt es von der Kooperative einen Arbeiter, der für das Tulpenrennen am Ende von großer Bedeutung ist. Achtung! Auch wenn wir uns hier scheinbar in der Simulation eines landwirtschaftlichen Produktionsprozesses befinden, am Ende wird nur gerannt und der Tulpenlauf entscheidet über den Spielsieg.
Kommen wir zum Sommer. Das Wasser wird knapper, die beste Zeit zum Trockenlegen des Mühlenteichs. Dazu werden Dämme gebaut, das Land wird eingedeicht. Neuland wird aber nur gewonnen, wenn das Wassergebiet aus maximal vier Feldern besteht und zur Entwässerung eine Windmühle bereit steht. Für die Trockenlegung gibt’s pro beteiligter Mühle ein Tulpenplättchen, dessen Wert sich an der Anzahl der errichteten Windmühlen orientiert. Im Herbst wird geerntet, wobei die Ergebnisse von den Wettereinflüssen abhängig sind. Überschwemmungen können massiv zuschlagen, seltsamerweise treffen sie nur manche Ernteplättchen, andere, ebenso am Wasser gebaut, bleiben verschont. Fäulnis und Krankheit kann zusätzlich in der Scheune zuschlagen. Bei den meisten Karten verändern sich Einzelergebnisse ins Positive oder Negative. Da keine Tulpen geerntet werden, kommen die Spieler an Tulpenplättchen nur durch die Trockenlegung von Land und durch Handelsaktionen im Winterquartal. Die erworbenen Ressourcen dürfen eingetauscht werden gegen Tulpen, Deichteile, Windmühlen und Bauernhöfe, zusätzlich, leider nicht auf der Scheunenübersicht erkennbar, gibt es noch weitere Tauschmöglichkeiten. Den Handel der Spieler untereinander sieht die Regel leider nicht vor. Am Ende des Winters darf die Zahl von fünf Plättchen einer Plättchensorte nicht überschritten sein, ausgenommen sind Windmühlen, Bauernhöfe und Deiche.
Spätestens nach sechs Jahren endet dieser Spielteil, im 2er-Spiel, das auf einer kleineren Spielfläche abläuft, schon nach vier Jahren. Das Ende kann aber schon früher eintreten, dann nämlich, wenn der See trocken gelegt ist. Dann folgt nach der Erntephase der Spielteil, der über Sieg und Niederlage entscheidet. „Tulpenrennen“ nennen die beiden Autoren die Endphase, meines Wissens und nach Auskunft meiner Groninger Freunde keine nationale, sondern doch wohl nur eine spielerische Besonderheit. Vor dem Rennen werden die Scheunen leer geräumt, alles wird noch in Tulpenfelder und Windmühlen eingetauscht und sofort auf dem Spielfeld platziert. Die Arbeiter kommen nun von den Tulpenfeldern direkt in die Startdörfer der Spieler, von dort dürfen sie jetzt punkteträchtig neu platziert werden. Ein richtiges Rennen findet im eigentlichen Sinne nicht statt, sondern ein Gerangel um die am besten zu belegenden Plätze. Dabei sind die Punktwerte der Tulpenfelder zu beachten, die vom roten Tulpenfeld für einen Punkt bis zum purpurnen mit sechs Punkten reichen. Und nicht nur das, Widderich und Vugt lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, um wieder viel und vielschichtig das Setzen der Arbeiter zu regeln. Die Spieler beginnen angrenzend zu einer beliebigen eigenen Windmühle mit dem Einsetzen ihrer Arbeiter. Weitere müssen neben den zuvor gesetzten Arbeiter platziert werden, also eventuell auch nicht auf ein Tulpenfeld, so dass eine Arbeiterkette zum nächsten lukrativen Feld führen kann, oder ein neues eigenes Windmühlenfeld wird als neuer Ausgangspunkt genommen. Sind alle Arbeiter gesetzt oder alle Tulpenfelder belegt, wird abgerechnet und der Punktbeste steht nach gut zwei Stunden als Spielsieger fest.
Eindrücke, die bleiben: Eine unübersichtliche Farborgie, ein überreguliertes Spiel, eine stinkende Materialflut, die nur mit Mühe wieder in der Schachtel unterzubringen ist (entsorgen Sie gleich den unnötigen Plastikeinsatz), kippende Windmühlen. Das tolle Cover wiegt wenig auf. Dabei sind die Grundideen des Spiels gar nicht schlecht, Ressourcenentwicklung über Landgewinnung, strategische Anbauplanung in Hinblick auf das Endspiel. Warum musste das Ganze aber so überreguliert werden? Warum wurde es nicht abgespeckt? So holt man wahrscheinlich nicht einmal die Holländer hinter ihren Deichen hervor.
Titel: H2OLLAND
Autoren: Jeff Widderich und Richard van Vugt
Grafik: Richard van Vugt
Verlag: CardChess
Spieler: 2 - 4 Spieler
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 90 Minuten
Spiel 15/2006 R128/2021
Die Rezension erschien 2006 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zu den Autoren:
Der Kanadier Jeff Widerich gründete 2001 für sein Spiel CARDCHESS den gleichnamigen Verlag. Dort erschienen Spiele wie KREUZWORT PYRAMIDEN, KÄSE, MÄUSE CHAOS und POMPEJI. H2OLLAND ist davon das einzige Spiel, das er mit einem Partner veröffentlicht hat. Richard van Vugt war als Holländer prädestiniert dafür.
Der Autor und Rezensent (Gamepack.nl, spielbox u.a.) ist leider schon 2016 im Alter von 63 Jahren verstorben. Das Bild zeigt ihn bei der Präsentation des Spiels 2005 in Essen.
Das Foto von Jeff Widderich stammt von der Spielwarenmesse in Nürnberg 2004.
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