Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Gute Krimis haben überzeugende Charaktere, eine stringente Handlungsentwicklung, atmosphärisches Ambiente, das noch einigermaßen nah an der Realität bleibt. Dass Polizisten in die Situation kommen, gegen sich selbst zu ermitteln, ist nicht ganz neu. Aktuell wird das perfekt umgesetzt in „Soro“ von Gary Victor, ein solcher Grundansatz ist erst einmal akzeptabel.
Nach 90 Seiten ist klar, um eine solche Konstruktion handelt es sich in Jenny Rognebys Roman „Leona“. Anfangs erleben wir nur eine fast psychotisch akkurate Polizistin, die 34jährige Leona Lindberg, Mutter von zwei Kindern, die mit der Klärung eines ungewöhnlichen Falls beauftragt wird. Ein blutüberströmtes Kind, das in einer Bank auftaucht und sieben Millionen kassiert, da eine Tonbandstimme den Geldaustausch gegen ihr Leben einfordert. Danach ist das Mädchen wie vom Erdboden verschwunden. Die Ermittlungen verlaufen erst einmal ergebnislos, warum das so ist, wird bald klar: Leona selbst ist die Drahtzieherin dieses Verbrechens.
So weit so gut, wenn es dabei bliebe, hätte sich daraus eine interessante Geschichte entwickeln können. Weniger glaubhaft erscheint ein Journalist, der die Wahrheit weiß, sie aber nicht ans Licht bringt, da er sich auf einen Rachefeldzug gegen einen Minister befindet, der ihn in seiner Jugend demütigte. Diese Schmalspurpsychologie prägt auch die Vorgeschichte Leonas, die als aufmüpfiges Kind von ihrem Vater immer wieder in einen Kellerraum gesperrt wurde. Das hat fast etwas von Michels Schuppen, nur dass Leona dort nicht schnitzt, sondern ihren Gedanken nachhängt und irgendwann lernt, sich maskenhaft anzupassen. Entsprechend negativ besetzt entwickelt sich ihr eigenes Verhältnis zu ihren Kindern, die nur ihren Mann mögen. Entsprechend reagiert Leona, führt quasi ein Doppelleben, tagsüber als Polizistin und Mutter, nachts als abhängige Spielerin, die im Netz und auch real am Pokertisch unterwegs ist.
Noch unglaubhafter ist, dass die den Fall betreuende Staatsanwältin letztlich auch Leonas Verbrechen deckt, da hilft auch die subtile Erpressung und Bestechung nicht recht weiter. Die doppelte Staatsgewalt vom Verbrechen involviert, das mag es geben, aber nicht in einer Welt, die ansonsten von Normalität geprägt ist.
Deshalb habe ich ein ambivalentes Verhältnis zu diesem Shooting-Star aus Schweden. Rogneby plant eine Trilogie um Leona, der erste Band war in Schweden ein Bestseller. Zugegeben, sie schreibt gut. Ihre wechselnde personale Erzählhaltung hat ihren Reiz. Aus dramaturgischen Gründen hält die Autorin trotz Innenperspektive erst einmal Hintergründe zurück. Leona ist absolut keine Identifikationsfigur, dazu ist sie zu brüchig, zu widersprüchlich, in ihr eigenes Lügengespinst verwirrt. Mich stört vor allem ihre fehlende Empathie nicht nur ihren Kindern gegenüber, sondern auch dem zur Tat missbrauchten Mädchen. Trotzdem mag man dieses Buch nicht aus der Hand legen und will wissen, ob sie durchkommt mit diesem Verbrechen. Daher bleibt das Buch bis zum Ende spannend und bringt auch noch einmal eine überraschende Wendung. Trotzdem reicht es nur für knappe drei Punkte.
Wertung: ***
Titel: Leona – Die Würfel sind gefallen
Verlag: Atrium
Autor: Jenny Rogneby
Seiten: 448 Seiten
Preis: 16,99 Euro