Montag, 1. November 2021
TURBULENTO
Hase und Igel auf dem Heuboden: TURBULENTO
Gute Spielautoren sind Künstler, die Bekanntes immer wieder neu erscheinen lassen, zumal dann, wenn mindestens eine originäre neue Idee mit verarbeitet wird. Reiner Knizia kann dies vorzüglich, Wolfgang Kramer auch, aber alle finden für mich ihren Meister in Heinz Meister. Genial wie er das indische CARROM in das Kinderspiel KARAMBOLAGE verwandelt hat und dafür mit dem damaligen Sonderpreis „Kinderspiel des Jahres“ (1995) belohnt wurde, unübertroffen sein Verschlüsselungscode in RÄTSELTURM und seine MÄDN-Variante ZAPP ZERAPP. TURBULENTO ist sein neuestes Meisterstück, das sich hinter seinen Erfolgen der letzten Jahre nicht zu verstecken braucht.
Die Grundidee stammt diesmal vom klassischen MEMO, das auch als einfache Spielvariante mit 15 von Gabriela Silveira wunderschön gezeichneten Tierpaaren gespielt werden kann. Den MEMO-Gedanken verknüpft Meister wieder einmal mit einer Geschicklichkeitskomponente. Seine raffinierte Idee diesmal: er lässt nicht die Stecknadel, aber die Tiere im Heuhaufen suchen. Der Heuhaufen ist in dem von Selecta umgesetzten Spiel der Boden der Spielschachtel. Die Tiere sind auf der flachen Seite von leicht gewölbten Holzspielsteinen abgebildet, die ein bisschen wie abgeflachte Toffifees aussehen. 15 Tiere liegen offen aus, auf dem gewölbten und leicht wackelnden Rücken sozusagen, ein Tier, der Pechvogel, liegt schon umgedreht im Stroh. Das ist die Ausgangslage für die Heinz Meister noch den richtigen Dreh finden musste. Das ist ihm auch gelungen und zeigt seine Qualitäten. Wer, wenn nicht er, wäre denn schon auf die Idee gekommen, mit Holzkugeln nach diesen Toffi-Tieren werfen zu lassen. Der Effekt ist überraschend: die flachen Tierholzscheiben sind erstaunlich wendesüchtig. Trifft man ihren Rand, liegen sie - ruckzuck - flach im Heu, so dass neben den offenen Tierscheiben sehr schnell nicht nur der Vogel umgedreht liegt, sondern Hase und Igel und anderes Getier.
Soweit die Spielidee, das Spiel selbst wird gesteuert über die Holzkugeln, von denen jedes der zwei bis vier Kinder ab vier Jahren vier erhält. Eine der Tierkarten wird aufgedeckt und der Spieler muss nun versuchen, das entsprechende mit gezieltem Wurf umzudrehen. Gelingt dies, erhält das Kind die Kugel zurück, misslingt es, bleibt die Kugel im Heu. Sollten Glückswürfe gelingen, bei denen sich zwei Steine umdrehen, erhält der treffsichere Werfer gleich zwei Kugeln zurück. Da von jedem Tier zwei Bildkarten im Spiel sind, tritt bald auch die Situation ein, dass es nichts umzudrehen gibt. Nun ist es gut, wenn die Spieler sich gemerkt haben, an welcher Stelle im Stroh die Tiere verschwunden sind. Wer das richtige Tier findet, erhält zur Belohnung eine Kugel. Wird ein falsches Tier aufgedeckt, dürfen die anderen Spieler auf die Suche gehen und Kugeln kassieren. Wer den Pechvogel aufdeckt, muss allerdings eine seiner Kugeln opfern. Das Spiel endet, wenn entweder alle Karten aufgedeckt sind oder wenn ein Spieler seine letzte Kugel verliert. Das Kind mit den meisten Kugeln gewinnt die Spielrunde.
Ich war erst skeptisch, ob kleine Kinder mit der Wurftaktik klarkommen, aber es klappt und da es so gut klappt, ist die Begeisterung der Kleinen umso größer. Durch den MEMO-Anteil haben Kinder zusätzlich beim Spiel mit ihren Eltern einen Vorteil, so dass sich TURBULENTO auch als Familienspiel eignet.
Die Umsetzung des Spiels in der Schachtel ist Selecta gut gelungen, die Toffi-Scheiben sind schon genial. Das Spiel kann allerdings kippen, zum Beispiel bei extrem guten Gruppen. Wer stets trifft, verliert keine Kugeln und da laut Regel nur verlorene Kugeln gewonnen werden können, ist es schon frustrierend, wenn es für erfolgreiche MEMO-Leistung keine Belohnung gibt. Da dem Spiel zwei Ersatzkugeln beiliegen, sollten die vorweg als Gewinnkugeln zur Verfügung stehen. In solchen Runden lässt sich nicht nur der Pechvogel, sondern jedes falsch aufgedeckte Tier mit Kugelverlust bezahlen. Frustrierend kann vor allem bei zwei oder drei Spielern auch die Situation sein, wenn ein Kind Schwierigkeiten mit dem Umdrehwurf hat. Dann kann nach vier Runden schon Feierabend sein, ohne dass die oft solche Defizite ausgleichende MEMO-Leistung zum Zuge kommt. Meistens klappt es aber bestens mit diesem neuen Heinz Meister Spiel, in dem es immer wieder turbulent zugeht.
Titel: TURBULENTO
Autor: Heinz Meister
Grafik: Gabriela Silveira
Verlag: Selecta
Spieler: 2- 4
Alter: ab 4 Jahren
Spieldauer: ca. 15 Minuten
Spiel 23/2007 R190/2021 Rezension erschien 2007 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Heinz Meister gehört zu den produktivsten und am längsten aktiven Spieleautoren in Deutschland. Mit Blick auf die Anzahl seiner Veröffentlichungen dürfte ihn nur Reiner Knizia übertreffen.
Besonders erfolgreich war und ist Heinz Meister mit Kinderspielen. Mit SCHWEINSGALOPP gewann er 1992 sowohl den Sonderpreis der Jury Spiel des Jahres als auch den des Deutschen Spielepreises. Auf diesen war er Anfang der 90er Jahre abonniert, er gewann ihn 1993 für VERFLIXT GEMIXT und 1994 für HUSCH, HUSCH, KLEINE HEXE. Ein Jahr später zeichnete ihn die Jury Spiel des Jahres mit dem damaligen Sonderpreis Kinderspiel für KARAMBOLAGE aus. ZAPP ZERAPP war dann fast wieder ein Doppelerfolg, mit Klaus Zoch zusammen gewann er 2001 den Deutschen Kinderspielepreis und eine Nominierung zum Spiel des Jahres.
TURBULENTO kam 2007 auf die Empfehlungsliste der Kinderspieljury.
Das Spiel besitzt eine Wertung von 6,5 auf BGG (Stand 30.10.).
Das Bild zeigt Heinz Meister auf der Spiel in Essen 2000.
Dienstag, 9. Februar 2021
DER KRÄHENSCHATZ
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Gefragt: Geschicklichkeit und Gedächntnisleistung
So ziemlich alles ist besonders an Uli Geißlers Spiel DER KRÄHENSCHATZ. Da ist einmal die Spielverpackung: Eine große Metallkiste, in der man Nürnberger Lebkuchen, aber kaum wunderschönes Spielmaterial erwarten würde, denn auch das ist außergewöhnlich. 36 große gelbe Holzkegel und eine Menge echter Weidenzweige, die Krähen zum Nestbau verwenden. Zu allem passend vom Altmeister der Memoryvariantenerfinder (PATERNOSTER) eine Gedankenübung, die es in sich hat.
Der Diakon Uli Geißler ist nicht nur Spieleerfinder, sondern stets auch Geschichtenerzähler. Diesmal erzählt er uns die Geschichte der diebischen Krähe Jimmy, die Ringe, Brillen, aber auch Croissants aus ihrer Nachbarschaft mitgehen lässt und ins Krähennest bringt. Die 36 Holzkegel symbolisieren die gefräßigen Schnäbel der Krähensippe. Unter den Kegeln verbirgt sich das Diebesgut in unterschiedlichen Farben. Wir Spieler erhalten eine Auftragskarte mit sechs Zielvorgaben, die sich einerseits nur auf vorhandene Farben beziehen, andererseits aber auch einige konkrete Gegenstände mit beinhalten. Wir prägen uns kurz unsere Auftragskarte ein und stürzen uns dann mit allen zusammen auf die 36 Krähenschnäbel. Die Kegel zu greifen, fällt erwachsenen Spielern gar nicht so leicht, oft genug entfleuchen sie wieder. Wer es als erster schafft, seine Aufgabenkarte farblich zu erfüllen, sofern man überhaupt in der Lage ist, in der ganzen Hektik des Suchens, Greifens und Wiederwegstellens sich die gewünschten Farben zu merken, gewinnt eine Suchrunde. Dafür gibt es einen dicken Weidenzweig, dünnere erhalten alle für korrekt gefundenes Diebesgut. Wer am Ende das meiste Nestbaumaterial besitzt, gewinnt die Krähenschatz-Runde.
Dem Autor ist mit dem von der Werksiedlung Kandern fantastisch produzierten Spiel, das der Zoch-Verlag inzwischen in seinen Vertrieb aufgenommen hat, eine beachtliche Mischung von Geschicklichkeit und Gedächtnisleistung gelungen. Die Hektik im Spiel erinnert an ZAPP ZERAPP oder das neue IGLU POP. Die Tempoleistung mit der Memoryleistung zu verknüpfen, ist der geniale Wurf Geißlers. Der hohe Aufforderungscharakter des Spielmaterials wird ein Übriges tun, dass dieses Spiel, das es immerhin bis auf die Auswahlliste für das „Kinderspiel des Jahres“ 2003 gebracht hat, ein Dauerbrenner werden wird.
Wieland Herold
Titel: DER KRÄHENSCHATZ
Autor: Uli Geißler
Grafik: Monika Kühnel
Verlag: Werksiedlung Kandern, Vertrieb: Zoch Verlag
Spieler: 2-5
Alter: ab 4 Jahren
Spieldauer: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 50 Euro
Spiel 10/2003 R31/2021
Die Rezension erschien 2004 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Der ehemalige Diakon Uli Geißler ist aktuell im Unruhestadium des Rentners unterwegs. Passend dazu hat der 65jährige Spiel- und Kulturpädagoge noch schnell eine Ausbildung als Krippenbaumeister in Kempten absolviert. Seit Oktober 2020 hat er einen Abschluss als geprüfter, zertifizierter "Krippenbaumeister". Mit der Ausbildung hätte er sich sicherlich eine noch fantasievollere Gestaltung seines ausgezeichneten Spiels überlegt.
Seine Aktivitäten als Spieleautor beschränken sich überwiegend auf die Zeit zwischen 1987 und 2008. In dieser Phase war er regelmäßig für den christlichen Uljö-verlag unterwegs. Bekannt waren aber eigentlich nur zwei Spiele von ihm, einmal das 1990 bei F.X. Schmid veröffentlichte PATERNOSTER, das später noch einmal in der Think-Reihe erschien, dann das hier beschriebene DER KRÄHENSCHATZ, das die Kinderjury auf die Auswahlliste des Jahres 2003 nahm.
Das Bild zeigt Uli Geißler mit Reiner Knizia auf der Spiel in Essen 1992.
Mittwoch, 16. Dezember 2020
DONNERWETTER
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Wettermacher Peter Lewe
Der letzte Notanker als Gesprächsthema ist immer das Wetter. Seit einigen Jahren wird das launische Wetter aber auch häufiger als Spielthema genutzt. Am auffallendsten sicher, das vor zwei Jahren erschienene WIND UND WETTER von Dijkstra und van Dijk. Es ist nicht allzu lobend von der Kritik aufgenommen wurden und wird zur Zeit schon von Jumbo verramscht, war aber in meinen Spielkreisen immer gut angekommen. Wer es preiswert für ca. 15 DM sieht, sollte ruhig zugreifen. 1991 startet Haba in seiner grünen Familienspielreihe einen neuen Wetterballon, der vielversprechend ist.
Der Verlag hat dabei einem neuen Autoren eine Chance gegeben. Der 38jährige Peter Lewe, Physiker, der halbtags in einem Krankenhaus arbeitet, sonst sich als Hausmann um seine drei Kinder kümmert, kann sich freuen, seinen Erstling DONNERWETTER in einer rundherum gelungenen Form der Spieleöffentlichkeit zu präsentieren.
Vier Holzfrösche hüpfen aus einem Einmachglas eine Wertungsleiter empor und zeigen den aktuellen Prognose- und Endstand an. Sieger ist der Wetterprophet, der als erster mit seinem Frosch das Leiterende erreicht hat oder bei Spielende am weitesten geklettert ist. Außer den Holzfröschen gibt es noch einen zwar unnötigen, aber atmosphärisch passenden Wetterhahn, den der Spieler erhält, der gerade am Zug ist, für Kinder zumindest in der Ausprobierphase eine hübsche Idee. Jeder Spieler besitzt außerdem vier Barometersteine für die Wetterprognose und am Anfang eine Wetterkarte.
Und darum geht es: Mit Hilfe dieser Wetterkarten zum „Wettermacher" zu werden. In zwei Spielplanbereichen mit jeweils vier mal vier Feldern liegen 32 Wetterkarten verdeck auf dem Spielplan. Die Viererspalten und -reihen legen, wenn die darauf liegenden Karten im Laufe des Spiels aufgedeckt werden, die Wetterbedingungen für zugeordnete Gebäude fest. Vom schlechten über mäßiges bis zum schönen Wetter ist natürlich alles drin. Was sich über einem Haus zusammenbraut, ergibt sich aus der Zahl von weißen und schwarzen Wolken, die sich auf den Wetterkarten befinden.
Pro Spielzug wird mindestens eine der Wetterkarten aufgedeckt und Wettervoraussagen werden damit wahrscheinlicher. Vor jedem Zug dürfen alle Spieler mit ihren Barometersteinen Prognosen stellen. Entsprechend der drei Wettermöglichkelten sind alle Gebäude in drei Zonen eingeteilt, in die die Steine gelegt werden können. Vier Voraussagen pro Spieler sind danach möglich. Würde die Spielbeschreibung hier enden, wäre Lewes erste Idee ein ziemliches Glücksspiel mit ein bisschen Wahrscheinlichkeitsrechnung, sicherlich immer noch ganz nett, aber nichts für jemanden, der doch lieber steuernd in den Spielverlauf eingreifen möchte.
Vier zusätzliche Wetterkarten bringen die fehlende Steuermechanik und Spannung ins Spiel. Zu Beginn hat bei vier Spielern Jeder eine Karte auf der Hand. Diese Karte darf verdeckt gegen eine offene auf dem Spielplan eingetauscht werden, so dass man hier sein Wetter wirklich selbst machen kann. Der Austausch einer Karte mit drei weißen Wolken gegen eine (noch verdeckte) mit drei schwarzen Wolken kann alle Prognosen über den Haufen werfen, aber vielleicht die eigene zur richtigen machen. Die ausgetauschte Karte kommt, weder verdeckt, auf eine Wolkenbank, auf der im Laufe des Spiels bald vier Karten liegen, die immer wieder zum Austausch zur Verfügung stehen. Dieser MEMOteil des Spieles hat es in sich. Wer meint, dass es ganz einfach sei, sich die Wettersituation der vier Karten zu merken, der wird bei den Turbulenzen auf dieser Wolkenbank bald eines Besseren belehrt. Sind in einer Reihe alle Kärtchen aufgedeckt, wird gewertet. Für Jede richtige Prognose hüpft ein Frosch vier oder zwei Sprossen (für den zweiten richtig gesetzten Stein; frühe Prognosen werden also belohnt.) nach oben. Geht es den Spielern so, wie häufig unseren Fernsehmeteorologen, dann beginnt der Abstieg, aber nur um ein Feld. DONNERWETTER ist ein schnelles Spiel, das spätestens nach vierzig Minuten zu Ende ist. Da mit jedem Spielzug eine Karte mehr umgedeckt werden muss - das bedeutet im Übrigen beim Austausch von Karten, dass dann der Spieler zwei weitere Karten aufdecken darf, was spieltaktisch sehr wichtig ist - muss das Spiel nach 32 Spielzügen zu Ende sein. Jeder kommt bei vier Spielern also achtmal an die Reihe, bei zwei Spielern sechszehnmal, nur bei drei Spielern ist der letzte Spieler im Nachteil , da er nur zehnmal Wettermacher sein darf. Nicht ganz klar geregelt ist auch, ob die verdeckt ausgetauschte Wetterkarte im gleichen Spielzug wieder aufgedeckt werden kann, was natürlich massive Steuerungsmöglichkeiten zur Folge hätte. In Reihen, in denen nur eine Karte noch umgedeckt ist, kann damit in den meisten Fällen eine todsichere Prognose abgegeben werden. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ausgetauschte Karten erst im nächsten Zug wieder aufgedeckt werden dürfen.
Wetterprophet sein dürfen, dazwischenfunken können, Donner und Blitz durch strahlenden Sonnenschein vertreiben, das macht alles in dem neuen Spiel von Haba und Peter Lewe viel Spaß. Über meinem Häuschen auf den Spielplan habe ich mir jedenfalls schon mein Wunschwetter für die nächsten Monate zurechtgelegt: Das Wetter mit nur einer weißen Wolke.
Wieland Herold
Titel: DONNERWETTER
Autor: Peter Lewe
Grafik/Design: Walter Matheis
Verlag: Haba
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 – 4
Spielzeit: ca. 30 Min.
Preis: ca. 49 DM
Spiel 13/1991 R173/2020
Die Rezension erschien 1991
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zu dem Autor:
Peter Lewe war zwischen 1991 und 2005 ein recht erfolgreicher Autor. Gleich sein erstes Spiel, das hier beschriebene DONNERWETTER, landete 1992 auf der Auswahlliste der Jury Spiel des Jahres.
Das satirische SALUDOS AMIGOS (Goldsieber, 1996) war in aller Munde und wurde auch öffentlich von Politikern gespielt. Der Begriff (oft auch nur abgekürzt „Amigo“) wird seit dem Bestechungsskandal um den Bayerischen Ministerpräsidenten Streibl insbesondere im Zusammenhang mit der CSU als Synonym für Affären um die Verquickung von Politik und Wirtschaft verwendet.
Das Spielprinzip von DONNERWETTER hat Lewe 2001 in einer überarbeiteten Form noch einmal als GALILEO bei W&L veröffentlicht.
Lewes letzte Spielveröffentlichung war das geniale SANWÜRMCHEN mit einem Kilo Spielsand in der Pappkiste, das damals noch Johann Rüttinger bei Drei Magier Spiele herausgab.
Lewe engagierte sich von Anfang an für seine Kollegen in der SAZ. Von 2001 bis 2003 war er Vorsitzender der Zunft.
Das Foto zeigt Peter Lewe auf dem Spieleautorentreffen 2001.
Samstag, 7. Mai 2016
MISSISSIPPI JAM
James Lee Burke wird im Dezember 80 Jahre alt, vor 29 Jahren erschien sein erster Kriminalroman um den Südstaaten-Polizisten Dave Robicheaux. Inzwischen besteht die Reihe aus 20 Bänden, von denen die meisten frühen Werke anfangs im Ullstein Verlag, später bei Goldmann erschienen sind. Zurzeit macht sich Pendragon an die Veröffentlichung bisher nicht übersetzter Bücher dieser Reihe. 2015 erschien STURM ÜBER NEW ORLEANS (EA 2007), in diesem Jahr greift der Verlag auf das einzige in den 90er Jahren nicht übersetzte Buch zurück: MISSISSIPPI JAM (EA 1994).
Im Kern der Erzählung geht es um ein altes U-Boot der Nazis, das vor der Küste Louisianas in den 40er Jahren versenkt wurde. Der Jude Bimstine, eine große Nummer bei den Demokraten, der sein Geld mit vielen Drugstores in New Orleans macht, ist hinter einem solchen U-Boot her, das er in ein lukratives Casino verwandeln möchte. Robicheaux, der schon als Jugendlicher auf ein solches Boot stieß, soll ihm helfen, ein Boot ausfindig zu machen. Wie so oft braucht Robicheaux Geld, wieder einmal nicht für sich, sondern für einen Freund, der unschuldiges Opfer im Kampf der Drogenkartelle New Orleans wurde und unter Mordverdacht steht. Daher kommen ihm die Geldversprechen Bimstines gerade recht.
Was einfach aussieht, wird zu einem Machtkampf, zu einem psychischen Duell um das Boot, das plötzlich im Fadenkreuz vieler Beteiligter steht. Vor allem wird es zu einem Kampf zwischen einem mysteriösen Neonazi namens Buchalter und Robicheaux. Nichts ist mehr sicher, auch Robicheaux‘s Privatsphäre wird ständig angetastet, seine Ehefrau gerät in diesen Strudel und droht zu ertrinken. Ein ständiges Auf und Ab mit vielen Tiefschlägen für den Protagonisten, das in einem grandiosen Finale endet.
Wer nach Ursachen sucht, weshalb Goldmann DIXIE CITY JAM damals nicht übersetzte, findet diese jedenfalls nicht in der Qualität der Geschichte, bestenfalls kann man sich die etwas klischeehaften Nazibilder als Erklärung heranziehen. James Lee Burk muss man mögen: Brutal in den Handlungsbeschreibungen, brutal in der Sprache, überzeugend in den Charakterbildern, die er teilweise nur skizzenhaft entwirft. Stets realitätsnah, wie gerade STURM ÜBER NEW ORLEANS zu den Umständen um den Wirbelsturm „Katrina“ gezeigt hat. Auch MISSISSIPPI JAM knüpft an historische Wahrheiten an. Die Nazis tauchten tatsächlich ab 1942 hauptsächlich vor der amerikanischen Ostküste auf und hatten mit ihrer Mission „Paukenschlag“ anfangs viel Erfolg, später wurden dann deutsche U-Boote auch im Golf von Mexiko und in der Karibik eingesetzt. Lange vermutete man „U 166“ vor New Orleans in der Mississippi-Mündung, Burkes Spekulationen beziehen sich wahrscheinlich auf dieses im August 1942 versenkte U-Boot. Sieben Jahre nach Erscheinen seines Romans wurde es dann 70 Kilometer von diesem Standort entfernt bei Sondierungsarbeiten für eine Pipeline im Golf von Mexiko entdeckt.
Wertung: ****
Titel: MISSISSIPPI JAM
Verlag: Pendragon
Autor: James Lee Burke
Seiten: 588 Seiten
Preis: 17,99 Euro
Donnerstag, 5. Mai 2016
ESKAPDEN: DER ACHTE FALL FÜR BRUNO, CHEF DE POLICE
Martin Walker hat es immerhin schon zum achten Fall für Bruno, Chef de police in Saint Denise, gebracht. Der Kleinstadt-Polizist hat zwar in den letzten Jahren seine erfrischende Naivität abgelegt, die Geschichten um ihn leben aber immer noch von seinen Liebes-Eskapaden, den kulinarischen und kulturgeschichtlichen Ausflügen ins Périgord, den historischen Exkursen und den Einblicken ins politische Alltagsgeschäft. Der bald 70jährige Schotte kann seine Herkunft als Historiker und politischer Journalist nicht leugnen und fügt diese stets kenntnisreich in die idyllischen Ausflüge in seine zweite Heimat im Südwesten Frankreichs ein.
Nach acht Romanen taucht mittlerweile schon eine ganze Bühnenbesetzung auf, die in den Vorgängergeschichten eine Rolle gespielt hat. Da ist die Rote Komtesse, da ist der ehemalige britische Geheimdienstoffizier, da ist die Mannschaft um die Höhle von Lascaux. Eingeweihte nicken und erinnern sich, neue Leser fühlen sich oft außen vor. Walker arbeitet mit Vertrautheiten, ohne für neues Vertrauen zu sorgen. Immerhin ist seine Lesegemeinde in den letzten Jahren ständig gewachsen, sodass er sich das wahrscheinlich erlauben kann.
Zumindest beschränkt sich der Autor diesmal auf wenige Handlungsstränge, das macht die ESKAPADEN zu einem sehr kompakten Roman, der stringenter als seine direkten Vorgänger verläuft. Hauptsächlich geht es um einen Fliegerheld Frankreichs, der als erster Franzose die Schallmauer durchbrach, während des Zweiten Weltkriegs auf russischer Seite die deutschen Invasoren bekämpfte und danach half, die Luftfahrtindustrie Frankreichs mit aufzubauen. Von den Russen und Franzosen dekoriert, war er auch in Zeiten des Kalten Krieges oft ein Mittler zwischen den jeweiligen politischen Führungen. „Der Patriarch“, wie Marco Desaix genannt wird, gehört auch zu den Jugendidolen Brunos. Von daher ist es ihm eine besondere Ehre, die Rote Komtesse zum 90. Geburtstag des Kriegshelden begleiten zu dürfen.
Bruno feiert mit, ist aber schon am nächsten Tag als Ermittler auf dem Schloss gefragt, da ein naher Bekannter der Familie während der Feier ums Leben kam. Für alle ist klar, dieser Gilbert, ehemaliger Pilot und engster Freund des Sohnes des Patriarchen, wurde ein Opfer seiner Alkoholsucht. Auch der hinzugezogene Arzt scheint da keine Zweifel zu haben. Bruno ist unsicher und sein Misstrauen wächst, als der Tote im äußerst beschleunigten Verfahren eingeäschert wird. Das fordert ihn heraus, sodass er bald die ganze Familie des Patriarchen unter die Lupe nimmt.
Der Haupterzählstrang wird ergänzt durch zwei Nebenhandlungen, die nur indirekt mit der Haupthandlung verwoben sind. Da geht es um eine sehr schräge, radikale grüne Naturschützerin, die auf ihrem großen, nicht eingezäunten Grundstück dem Rotwild der Gegend ein Refugium vor der Jagdverfolgung bietet. Der Wildwechsel vor ihrem Haus nimmt extrem zu und führt zu Unfällen. Dies eskaliert, als dabei die Frau eines politisch ambitionierten Rechtsanwalts umkommt. Bruno hat schon viel um die Ohren, da kann er eigentlich private Probleme gar nicht gebrauchen. Aber die Schottin Pamela sucht nach dem Tod ihrer Mutter einen mehrfachen Neuanfang. Sie kündigt Bruno zwar nicht die Freundschaft, aber den freien Zutritt in ihr Schlafzimmer, außerdem will sie sich vergrößern und einen Reiterhof mit vielen Ferienwohnungen erwerben.
Walker erzählt das alles sehr unaufgeregt, ohne allzu große Effekte. Die Atmosphäre stimmt, es menschelt in vielen Begegnungen und die Geschmacksnerven werden immer wieder angeregt. Das liest sich gut, wird diesmal historisch interessant vor allem in die russische Geschichte eingebettet. Kein großartiger neuer Roman, aber eine gute Fortsetzung der Bruno-Geschichte.
Wertung: ****
Titel: ESKAPDEN: DER ACHTE FALL FÜR BRUNO, CHEF DE POLICE
Verlag: Diogenes
Autor: Martin Walker
Seiten: 400 Seiten
Preis: 24 Euro
Samstag, 23. April 2016
FRIESENNERZ
Echtes „Nerz“-Feeling
Nané Lénards Triller hatten bisher eher die „Schatten“seiten des Lebens im Blick. In ihren Krimis um Hauptkommissar Wolf Hetzer geht es seit 2011 äußerst brutal zu. Die seit zwei Jahren freiberuflich tätige 50jährige Autorin versteht sich aber auch auf leicht verdauliche Kost. Mit FRIESENNERZ mischt sie die ostfriesische Krimilandschaft humoristisch neu auf und stellt Klaus-Peter Wolfs Chefermittlerin Ann Kathrin Klaasen die Hobby-Detektivin Charlotte Esen entgegen.
Ihr Hauptgeschäft ist der Rollmops-Verkauf im Hafen von Neuharlingersiel, dort ist die dreifache Witwe, die es immerhin zu fünf Kindern und dreizehn Enkeln gebracht hat, für alle nur Oma Pusch. So vernetzt, braucht sie keinen Facebook-Account, um über alles und alle Bescheid zu wissen. Hilfreich ist dabei, dass es einer ihrer Neffen vom tiefsten Bayern in das Polizeikommissariat nach Esens verschlagen hat, auch sonst hat sie so ihre Beziehungen zur Rechtsmedizin und Spurensicherung in diesem Nordseeküstenbereich.
FRIESENNERZ überzeugt durch skurrile Charaktere und eine pfiffige Handlung, die durchaus Rätselspannung bei der Lösung des Falls zulässt. Oma Pusch geht einer mysteriösen Mordserie nach, die eine verschworene Doppelkopfrunde zu betreffen scheint. Da wird Fiete Hansen in seinem Gewächshaus tot aufgefunden. Bestattet in einem knallgelben Friesennerz, zusätzlich noch skalpiert. Wenig später entdeckt Oma Pusch im Watt von Neuharlingersiel eine ähnlich drapierte Leiche, ein zweites Mitglied der Kartenspielrunde. Oma Pusch begibt sich mit ihrer Freundin Rita auf Spurensuche. Sie scheut keinen Einsatz, entkleidet sich für ihre Ermittlungen auch mal bis auf die schwarze Unterhose und zieht für Informationen den einen oder anderen Ermittler ganz schön über den Tisch. Das ist leichte, äußerst unterhaltsame, manchmal auch klischeehafte Kost, bei dem sogar richtiges „Nerz“-Feeling aufkommt, denn der Buchumschlag fühlt sich exakt so an wie jener typische PVC beschichtete gelbe Regenmantel.
Wertung: ****
Titel: FRIESENNERZ
Verlag: CW Niemeyer
Autor: Nané Lénard
Seiten: 309 Seiten
Preis: 10,95 Euro
Samstag, 16. April 2016
DAS MONA LISA VIRUS
Tibor Rode, Anwalt und Dozent für Wirtschafts- und IT-Recht, schreibt erst seit drei Jahren. 2013 debütierte er mit DAS RAD DER EWIGKEIT, ein Jahr später folgte DAS LOS ein weiterer erfolgreicher Thriller. Die Rechte für seinen dritten Roman, DAS MONA LISA VIRUS, der im März 2016 erschien, wurden schon in neun weitere Länder verkauft.
Wäre der Titel DA VINCI CODE nicht schon vergeben, würde er treffend für die Thriller-Konstruktion Rodes passen. Der Mona Lisa Code infiziert seit nun schon über 500 Jahren unsere Sehgewohnheiten, unser Bild von Schönheit, geprägt durch den Goldenen Schnitt. Wie muss das für Menschen sein, die gar nicht diesem Schönheitsideal entsprechen? Das ist der Ausgangsgedanke Rodes, der daraus einen Rachefeldzug gegen den Schönheitswahn, gegen ideale Proportionen ableitet.
Die Verwüstungsschneise, die dabei hinterlassen wird, führt durch die ganze Welt. Erfasst alles, da sie gleichzeitig als Computer-und Bio-Virus daherkommt. Bilddateien sind nur noch entstellt sichtbar, Millionen von Bienenvölkern sterben dahin und sind nicht mehr in der Lage, ihre Befruchtungsdienste vorzunehmen. Gleichzeitig fällt in Leipzig der Rathausturm, löst sich in Mailand das Heilige Abendmahl da Vincis auf. Eine ganze Busladung amerikanischer Schönheitsköniginnen wird obendrauf in Mexiko entführt, entstellt, verformt wie die Bilddateien, tauchen einige der schönen Frauen in der Nähe Acapulcos wieder auf.
Vor diesem zerstörerischen Hintergrund mit ständig wechselnden Schauplätzen entwickelt Rode erst mit der Zeit eine überschaubarere Handlung, in deren Zentrum das ehemalige Model Helen Morgan steht, die sich nun wissenschaftlich mit Neuroästhetik beschäftigt. Sie gerät in den Strudel und lässt sich einbinden in die verbrecherischen Aktivitäten, da ihre Tochter ebenfalls nach Mexiko entführt wurde. Begleitet wird sie anfangs eher indirekt von einem FBI Agenten, der sich auf Spurensuche nach den Verursachern des Chaos befindet.
Das, was sich nun ergibt, ist ein spannendes Abenteuer zwischen Warschau, Madrid und Paris, in dem die Mona Lisa und die Mona Lisa des Prado, die erst 2012 entdeckt wurde, eine wichtige Rolle spielen. Rode gelingt dabei ein kenntnisreicher, kulturgeschichtlich angehauchter Thriller, der durchaus zum Nachdenken anregt. Mich stören nur die mysteriösen Einsprengsel, die die Handlung begleiten. Nichts gegen Tagebucheinträge aus dem frühen 16. Jahrhundert, aber ein Zeitreisender passt nicht zum sonstigen Geschehen.
Wertung: ****
Titel: DAS MONA LISA VIRUS
Verlag: Lübbe
Autor: Tibor Rode
Seiten: 461 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Freitag, 12. Februar 2016
DER RUF DES HENKERS
Im „Amulett der Ewigkeit“ pendelt Björn Springorum, ein junger Autor aus Stuttgart, noch zwischen 19. und 21. Jahrhundert in London hin und her. Im „Ruf des Henkers“ bleibt er in der Mitte des 19. Jahrhunderts stehen, folgt mit seinem Jugendroman aber weiterhin magisch-mystischen Spuren. Sein drittes Werk rankt um eine der grausamsten Henkergestalten Englands, um William Calcraft, der von 1800 bis 1879 lebte. Noch elf Jahre vor seinem Tod gab es in England öffentliche Vollstreckungen, zu seinen Hinrichtungen sollen bis zu 30.000 Gaffer gepilgert sein. Berüchtigt war er dafür, dass er die Aufgeknüpften am Galgen zu einem schnelleren Tod brachte, indem er sich an ihre Beine hängte.
Hier setzt die Fabulierkraft des Autors an, mit seinem Roman versucht er, eine eigene, sehr mystische Erklärung zu geben. Einerseits bewegt sich der Historiker und Anglist Springorum ziemlich exakt in der Zeit, Dickens (Oliver Twist) und Jack London (The People of the Abyss) lassen grüßen. Andererseits muss er für sein jugendliches Lesepublikum Ambiente liefern. Da ist einerseits eine Liebesgeschichte, die ein schwarzhaariges Mädchen gleich am Anfang vor dem Galgen rettet, da der in sie verliebte Pfarrerssohn Richard Winters sich für sie einsetzt. Calcraft lässt das sonderbare junge Mädchen laufen, nimmt dafür aber Richard in seine Dienste, der schnell merkt, dass der Henker nicht nur als Vollstrecker unterwegs ist.
Um nicht zu sehr zu spoilern, lasse ich die wahren Aufgaben des Henkers an dieser Stelle im Dunkeln, sie führen in eine rätselhafte, fantastische Welt, die durch wechselnde Erzählperspektiven spannend vermittelt wird. Für den Autor ist "Der Ruf des Henkers" in vielfacher Hinsicht „wie ein Erstling“: Seine erste gebundene Ausgabe, sein erster Spitzentitel bei einem renommierten Verlag, zudem auch sein erstes Hörbuch (erscheint am 19.02.)! Tolles Buch, das die Atmosphäre Londons Mitte des 19. Jahrhunderts anschaulich einfängt, dessen Erzählspannung dem Leser kaum Zeit lässt, das Buch aus der Hand zu legen.
Wertung: ****
Titel: Der Ruf des Henkers
Verlag: Thienemann
Autor: Björn Springorum
Seiten: 347 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Sonntag, 20. Dezember 2015
DIE VERBRANNTEN
Alle sehen weg
Flüchtlingsheime, die brennen, Erpressung, Vergewaltigung auf den Flüchtlingsrouten, Behörden, die sich abschotten, die wegsehen oder die Hand aufhalten. Die irritierenden Bilder, die der 39jährige Mexikaner Antonio Ortuño in seinem vierten Roman, „Die Verbrannten“, entwirft, sind erschreckend real. So als ob er eine Dystopie von Europas Zukunft entwerfe. Dabei ist sein Buch 2013 erschienen und spiegelt das Schicksal von in Mexiko gestrandeten lateinamerikanischen Flüchtlingen auf dem Weg in die USA wider.
Brutaler könnte der Einstieg nicht sein. Das Flüchtlingsheim einer heruntergekommenen Kleinstadt im Süden Mexikos wird niedergebrannt. Die meisten Bewohner des Hauses kommen elendig um, da die Verbrecherbande, die Motow-Coctails durch die Fenster wirft, alle Türen verrammelt hat. Nur halbherzig verspricht die Nationalkommission für Migration Aufklärung, haben ihre Angestellten doch zum Zeitpunkt der Tat alle gefeiert.
Ortuño entwirft im Wechselspiel unterschiedlicher Erzählperspektiven die Facetten und Auswirkungen dieser Tat. Da ist die alleinerziehende Sozialarbeiterin Irma, die bei der Untersuchung helfen soll und sich und ihre Tochter plötzlich selbst bedroht sieht. Da ist die 22-jährige Yein aus El Salvador, die dem Flammenhorror entkommen konnte, die dort aber ihren Mann verlor. Ihr Schicksal steht sinnbildhaft für viele Flüchtende. Da sind offizielle Stimmen, im Chor obendrein Betrachtungen von Irmas Mann, der sich, zwar fern der Kleinstadt, auch schuldig macht.
Das Buch ist äußerst brutal, kompromisslos in der Darstellung mexikanischer Realität, das ist nicht jedermanns Sache. Ich konnte die 204 Seiten aber nicht aus der Hand legen. Völlig zurecht steht es seit Monaten auf der Krimi- Bestenliste der Zeit, dort treffend charakterisiert: „Zum Kotzen realistisch!”
Wertung: ****
Titel: Die Verbrannten
Verlag: Antje Kunstmann
Autor: Antonio Ortuño
Seiten: 204 Seiten
Preis: 19,95 Euro
Samstag, 12. September 2015
Träum was Böses
Doppelter Alptraum
Carol Louise Taylor macht im Nachspann ihres Debutromans deutlich, dass es durchaus eigene Erfahrungen sind, die sie in "Träum was Böses" aufgreift. Auch Sie blickt wie ihre Hauptfigur Sue auf eine Missbrauchsbeziehung zurück, aus der sie sich vier Jahre nicht lösen konnte.
Das, was sie literarisch verarbeitet, wird zu einem überzeugenden doppelten Psychodrama. Der Leser erlebt Sue in einem rückblickenden Handlungsstrang zwischen 1990 und 1992 in einer Beziehung mit einem psychopathischen jungen Schauspieler.
Die Haupthandlung verläuft 20 Jahre später. Sue hat eine 15jährige Tochter , ihr Mann ist erfolgreicher Abgeordneter, sie selbst leidet erkennbar noch unter ihrer Vorgeschichte. Alles bricht zusammen als Tochter Charlotte von einem Bus angefahren wird und ins Koma fällt. Sue macht sich auf Spurensuche, entdeckt das Tagebuch von Charlotte und erkennt, dass ihre Tochter sich umbringen wollte.
Die Entwicklungen daraus führen zu einer spannenden Ursachensuche, die Sue immer paranoider werden lässt, da immer deutlicher wird, dass alles irgendwie mit ihrer Vergangenheit zusammen hängt. Ein Puzzle aus Tagebucheinträgen, Handyaufzeichnungen, Befragungen von Freunden, die Stück für Stück aufzeigen, in welches erpresserische Geflecht Charlotte geraten ist.
Das reißerische Ende am Krankenbett der Tochter überzeugt mich zwar nicht, eindrucksvolle Charakterzeichnungen und die subtile Spurensuche machen Taylors ersten Roman zu einem guten Psychothriller, der alltäglichen Schrecken zeigt.
Wertung: ****
Titel: Träum was Böses
Verlag: Piper
Autor: Carol Louise Taylor
Seiten: 432 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Nebelkind
Spurensuche
„Nebelkind“ ist zuerst im Selbstverlag der Autorin Emelie Schepp erschienen und trat dann seinen Weg in die schwedischen Bestsellerlisten an. Ich tue mich schwer mit dem Entwurf ihrer Hauptfigur, einer erfolgreichen Staatsanwältin, die an einer Fallklärung beteiligt ist, die sie in ihre eigene Kindheit zurückführt.
Die Geschichte selbst ist spannend und entwickelt sich zu einer außergewöhnlichen und menschenverachtenden Verbrechensserie. Der Leiter des Migrationsamtes in Norrköping wird erschossen in seinem Haus aufgefunden, Einbruchspuren, die auf ein Kind hinweisen, werden gefunden. Festgenommen wird erst aber einmal nur die Frau des Ermordeten, der mehrfach hohe Geldabbuchungen nachgewiesen werden können.
Bald findet man aber die Leiche des Jungen, der am Tatort gewesen sein muss und eine seltsame Tätowierung in seinem Nacken. Die ermittelnde Staatsanwältin ist schockiert, befindet sich doch eine ähnliche Ritzung an ihrem Hals. Sie jagt fortan ihren Alpträumen nach, will erfahren, was in Ihrer Kindheit war und verlässt die gemeinsamen Ermittlungswege mit der Polizei.
Die macht einen guten Job mit glaubhaften Ermittlern, die in unterschiedliche soziale Kontexte eingebunden sind und durch die personale Erzählhaltung der Autorin treffend charakterisiert werden. Weniger glaubhaft sind die Reaktionen der Staatsanwältin, die sich bald völlig außerhalb der Gesetze stellt und am Ende eine eigene Falllösung konstruiert. Die lässt jedenfalls Platz für einen Folgeband.
Das Gesamtkonzept ist durchaus spannend, zumal Schepp auf ein Thema aufmerksam machen möchte, das Relevanz besitzt.
Wertung: ****
Titel: Nebelkind
Verlag: Blanvalet
Autor: Emelie Schepp
Seiten: 448 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Montag, 15. Juni 2015
WETTERLEUCHTEN IM ROUSSILLON
Vergangenheitsbewältigung
Der Mord an einem ehemaligen OAS-Angehörigen wird als Auftakt aus der Täterperspektive samt allen damit verbundenen arthritischen Schmerzen geschildert. Der Fall liegt in den Händen von Inspecteur Gilles Sebag, der sehr lustlos, aus einer Woche Sommerferien kommend, seinen Dienst angetreten hat.
Eigentlich hat ihn seine Tochter beauftragt, dem tödlichen Verkehrsunfall eines Freundes nachzuspüren, aber erst einmal geht der Mord vor. Klar ist, der Familienfrieden ist bedroht, auch seiner Frau ist er sich nicht mehr sicher. Unklar bleibt vorerst der Fall selbst.
Philippe Georget, 52 Jahre, lebt in der Nähe von Perpignan. Er kennt die südwestliche Ecke Frankreichs mit ihrer katalanischen Zwitterstellung wie seine Westentasche. Der Fall, in dem er aktuell Sebag ermitteln lässt, reicht weit in die Geschichte und über die Ländergrenzen hinweg.
Georget wechselt nicht nur die Perspektive zwischen Täter und ermittelndem Kommissar. In Rückblenden erzählt er von den Gräueltaten eines OAS-Kommandos zu Beginn der 60er Jahre in Algerien. Aus der historischen Einbettung gewinnt die Geschichte an Wert. Zumal der Autor die Vergangenheit stets auch mit der Gegenwartsbrille betrachtet, was bei den Ermittlungen eine Rolle spielt.
Im eigentlichen Fall überwiegt mir zu sehr das Bauchgefühl Sebag. Etwas mehr Täterdistanz wäre vielleicht auch hilfreich. Da schwingt sonst zu viel Empathie und Sympathie mit, wo doch vier Opfer auf der Strecke bleiben, das eingangs erwähnte Unfallopfer eingeschlossen, und in der historischen Dimension sicher Hunderte. Das lässt sich auch kritischer betrachten.
Wertung: ****
Titel: Wetterleuchten im Roussillon
Verlag: Ullstein
Autor: Philippe Georget
Seiten: 475 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Montag, 25. Mai 2015
Provenzalische Geheimnisse
Da kann der ehemalige Kommissar Pierre Durand und jetzige Chef de Police im provenzalischen Sainte-Valérie noch so oft betonen: „Ich wollte noch nie die Kopie eines anderen sein!“ Er ist die eindeutige Kopie von Martin Walkers Chef de Police Bruno.
Heike Koschyk, 48jährige Hamburger Autorin, schreibt unter dem Pseudonym Bonnet die Durand-Krimis. Sie hat viele Talente, hat als Heilpraktikerin gearbeitet, ein Buch über das Bach-Blüten-System geschrieben und sich mit Hildegard von Bingen beschäftigt. Als Krimi-Autorin ist sie seit 2002 unterwegs, 2008 hat sie den vom Fischer Verlag vergebenen Agatha Christie Krimipreis erhalten.
Auch wenn sie Martin Walker kopiert, sie versteht ihr Geschäft, schreibt bei ihrem zweiten Roman inzwischen sogar spannender als ihr Vorbild, bei dem sich Vieles einfach nur noch wiederholt. Die Tätersuche ganz im Stil Agatha Christies mit vielen Verdächtigen und einer durchgängigen Rätselspannung aufrecht zu erhalten, gelingt ihr im aktuellen Werk „Provenzalische Geheimnisse“ vorzüglich.
In der Nacht vor einer großen Hochzeitsfeier in Sainte-Valérie, für deren kulinarisches Programm Charlotte, die Köchin und Freundin des Polizisten, zuständig ist, wird der Trauzeuge, der Bruder der Braut, wie ein Wildschwein gejagt und mit einer Schrotflinte erlegt. Außer der Braut scheint ihn keiner gemocht zu haben. Mit seinem zukünftigen Schwager lag er ständig im Clinch, sein Vater scheint ihn auch über seinen Tod hinaus zu hassen, als Betreiber eines Holzbetriebs hat er die Umweltaktivisten auf sich aufmerksam gemacht, das gilt auch für die vielen Jagdgegner, die nicht nur die Reifen der Fahrzeuge der Jäger zerstechen. Bruno, pardon Pierre ist verzweifelt. Nicht nur die Tätersuche macht ihm Probleme, da ist auch noch sein altes Bauernhaus, das renoviert werden muss, wobei der bestellte Bauunternehmer andauernd neue Aufträge annimmt und sich nicht um seinen kümmert und dann gibt es das übliche Auf und Ab in der Beziehung zu Charlotte. Im Fall selbst muss er sich mit den unterschiedlichen Zuständigkeiten des französischen Polizeiapparats herumschlagen, auch das kennen wir aus dem Périgord, die kulinarischen Entschädigungen eingeschlossen.
Vergessen wir die Versatzstücke der Kopie, bleibt ein spannender Fall, dessen Aufklärung man gerne verfolgt. Komplizierte Verwicklungen, deren Fäden sich erst allmählich lösen bis zu einer nicht ganz erwarteten Wendung am Ende. Rein kriminalistisch liefert Bonnet solide und unterhaltsame Krimikost.
Wertung: ****
Titel: Provenzalische Geheimnisse
Verlag: Blanvalet
Autor: Sophie Bonnet
Seiten: 352 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Mittwoch, 20. Mai 2015
Die Blonde mit den schwarzen Augen
Philip Marlowe lebt
Der irische Autor John Banville, der in diesem Jahr 70 wird, schreibt unter seinem Krimi-Pseudonym Benjamin Black einen neuen "Philip-Marlowe-Roman". Chandler, der Erfinder dieses Prototypen eines Privatermittlers, ist seit 56 Jahren tot. Sein Privatschnüffler lebt weiter. Schon 1989 und 1991 kamen mit „Einsame Klasse“ und „Tote träumen nicht“ von den Erben autorisierte, aber nicht so erfolgreiche Romane heraus, die Robert B. Parker verfasst hat. Nun spürt Banville, ebenfalls autorisiert, Chandler nach und kopiert ihn durchaus perfekt. Sogar den Titel hatte Chandler einst im Fokus.
Irgendwie sieht man ständig Humphrey Bogart vor dem inneren Auge: Am Schreibtisch seines Büros, mit dem Ginglas in der Hand, das Zigarettenetui öffnend, im Clinch mit Gangstern und mit schönen Frauen, fast unbestechlich, seinen eigenen Gesetzen folgend. Banville Kopiert Chandlers Marlowe fest perfekt. Das ist vergnüglich zu lesen, dabei ist der Fall aus den frühen 50ern arg konstruiert, nicht allzu spannend und folgt den üblichen Klischees.
Eine schöne Frau, „groß und schlank mit breiten Schultern und üppigen Hüften. Mit anderen Worten:“ genau sein Typ beauftragt Marlowe, nach ihrem scheinbaren Liebhaber zu suchen, der seit einiger Zeit verschwunden ist. Nicht nur verschwunden, tot soll er sein, findet Marlowe wenig später heraus. Clare, die schöne und äußerst wohlhabende Blondine mit den schwarzen Augen, glänzend wie feuchtes Robbenfell, wusste allerdings schon davon. Sie glaubt aber nicht an seinen Tod, da sie meint, ihn noch vor vierzehn Tagen gesehen zu haben. Hinter Nico Petersen, ihrem Freund, scheint nicht nur Marlowe hinterher zu sein, zwei Mexikaner und ein Gangsterboss wollen ebenfalls etwas von ihm und die wahren Motive von Clare bleiben lange unklar.
Showdown am Ende mit einem melancholischen Marlowe, der Blumenlampen vernichtet und für seine Dienste nicht einmal bezahlt wird. Die Handlung gerät zur Nebensache, das muss man schon mögen. Marlowe-Fans werden die Wiederauferstehung ihres Helden feiern. Wer gut konstruierte Krimis mag, wird amüsiert lächeln und, durchaus besser bedient, zu Alan Carters „Prime Cut“ greifen.
Wertung: ****
Titel: Die Blonde mit den schwarzen Augen
Verlag: KiWi
Autor: John Banville
Seiten: 287 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Montag, 18. Mai 2015
Das Spiel des Poeten
Schatzsuche
Das sechzehnte Buch in der Montalbano-Reihe von Camilleri, in Italien schon 2010 erschienen, gerät zu einer literarischen Schatzsuche. Montalbano folgt lyrisch und melodramatisch verschlüsselten Botschaften, alles scheint anfangs recht belanglos. Da sind zwei religiöse Fanatiker, aufblasbare Puppen, die für Leichen gehalten werden, bis schließlich das Verschwinden eines jungen Mädchens einen echten Kriminalfall andeutet.
Da geht Montalbano schließlich auf, dass die literarische Schnitzeljagd kein Zeitvertreib war, sondern deutlich mehr dahinter steckt. Der „Schatz“ erweist sich als bestialisch zugerichtete Leiche, den aufblasbaren Puppen ähnlich, die anfangs eine Rolle spielten.
Was über viele Seiten eher seicht dahin plätschert, wird im Laufe des Handlung zu einem für Camilleri ungewöhnlichen Psychothriller. Einem geistigen Duell zwischen einem Psychopathen und dem Kommissar, einem linguistischen Duell von zwei Personen, die sich sogar recht nahe stehen.
„Das Spiel des Poeten“ gehört zu den besseren Montalbano-Geschichten mit einem spannenden Showdown am Ende.
Wertung: ****
Titel: Das Spiel des Poeten
Verlag: Bastei-Lübbe
Autor: Andrea Camilleri
Seiten: 272 Seiten
Preis: 19,99 Euro
Samstag, 18. April 2015
Zurück auf Start
Griechen der fünfziger Jahre
Wer ist schuld an der Misere Griechenlands? Petros Markaris gibt viele Antworten in seinem aktuellen Fall für Kommissar Charitos. Die „Troika“ darf noch „Troika“ heißen, wir befinden uns in der Phase vor Tsipras, aber die Ursachen der griechischen Krankheit sind identisch.
Darunter leidet auch der Deutschgrieche Andreas Makridis. Er will zur Wiederbelebung Griechenlands beitragen, die ökologische Energiewende voranbringen. Sein Enthusiasmus ist bei diesen Strukturen zum Scheitern verurteilt, er will gradlinig seinen Weg gehen, ohne Vetternwirtschaft, ohne Bestechung, aber so funktioniert das nun mal nicht. Makridis ist kein Manager von Rheinmetall, er will privat etwas in Gang setzen und scheitert kläglich, sodass er für sich keinen anderen Ausweg sieht, als zum Strick zu greifen.
Die „Griechen der fünfziger Jahre“ sehen das ganz anders. Ihr Bekennerschreiben, das die Deutsche Botschaft erhält, spricht von Ermordung und Kommissar Charitos muss sich ganz lange fragen, wer sind denn diese alten Griechen, die in alte Werte erinnern? Jedenfalls sind die nächsten Toten, die auf ihr Konto gehen, tatsächlich ermordet worden, zudem noch mit einem alten Revolver aus der Nachkriegsära.
Daneben beschäftigt den Kommissar privat der fremdenfeindliche Rachefeldzug der radikalen Gruppen um die „Goldene Morgenröte“. Seine Tochter wird überfallen und zusammengetreten, weil sie anwaltlich für Flüchtlinge tätig ist. Er selbst wird bedroht und schnell wird deutlich, dass die griechische Polizei von der „Goldenen Morgenröte“ infiltriert ist.
Ein hochaktuelles Werk, schon 2012 in Griechenland erschienen und damit fast visionär, was die weitere Entwicklung angeht. Die Lösung des Fall Makridis selbst habe ich Am Ende zwar als sehr konstruiert empfunden, das Gesamtbild lässt aber problemlos noch eine gute Wertung zu.
Wertung: ****
Titel: Zurück auf Start
Verlag: Diogenes
Autor: Petros Markaris
Seiten: 356
Preis: 23,90 Euro
Sonntag, 12. April 2015
The Drop Bargeld
Vielschichtig wie Dennis Lehanes bisheriges Leben ist das Buch zum Film „The Drop Bargeld“ angelegt. Er arbeitete als therapeutischer Berater für geistig behinderte und sexuell missbrauchte Kinder, war Kellner, aber nicht Barkeeper, Chauffeur, Parkplatzwächter, arbeite in Buchläden und als Erntehelfer. Irgendwann kam er dann schließlich zum Creative Writing, und mit dem Schreiben kam der Erfolg. Bekannt ist er vor allen für seine Drehbücher für „The Wire“, „Shutter Island“ und „Mystic River“. Auch „The Drop“ ging ein Drehbuch voraus, das Lehane zu einer Kurzgeschichte („Animal Rescue“) geschrieben hat. Film und Buch sind 2014 veröffentlicht worden.
„Bob fand den Hund zwei Tage nach Weihnachten.“ So lakonisch wie dieser Roman einsetzt, endet er auch: „Man kann das Leben nicht kontrollieren.“ Dazwischen liegen die Errettungsgeschichte des Pitbulls Rocco, ein Überfall auf die Bar, in der Bob arbeitet, die Tätersuche des abgehalfterten Polizisten Torres, der dabei auf eine ganz alte Geschichte stößt, die mit dem Verschwundenen Richie Whelan zusammenhängt. Dann sind da auch noch Nadia, die bei der Hundeerziehung hilft, der ehemalige Hundebesitzer, Cousin Marvin als ehemaliger Barbesitzer und die tschetschenische Mafia um Boss Chovka, die die Bar als Geldwaschanlage benutzt.
Rückblenden konturieren einzelne Personen genauer, Kirchenbesuche charakterisieren vor allem Bob und Torres. Erst allmählich lichtet sich das oft alkoholgeschwängerte Dunkel. Nicht alles, was gut scheint, ist wirklich gut. Da wirkt das Ende fast zu kitschig, zu harmonisch, wenn da nicht der Wink mit dem Schicksal wäre, das „Kreischen von Bremsen, der dumpfe Aufprall von Metall auf einem Hundekörper“. Aber Rocco läuft und springt – ganz frei und ungezwungen, es sei denn, der Ball, dem er nachjagt, landet doch auf der Straße.
Wertung: ****
Titel: The Drop Bargeld
Verlag: Diogenes
Autor: Dennis Lehane
Seiten: 224
Preis: 19,90 Euro
Freitag, 3. April 2015
Krieg
Heimatfront
Es sind die täglichen Nachrichten vom Krieg in aller Welt, die an uns vorbeirauschen, uns kaum noch berühren. Jochen Rausch lässt diese Nachrichten in seinem Roman „Krieg“ in die Alltagswelt einbrechen. Da muss an ein junger Mann nach Afghanistan. Er ist Sohn, er ist Verlobter und Rausch serviert die Konsequenzen vor allem aus der Perspektive der Zurückgebliebenen.
In die heile Welt des Lehrerhaushalts der Eltern bricht die Angst um das Leben des einzigen Kindes ein, nur aus den Mails des Sohnes erfahren wir die Kriegsrealität. Die Mutter wird zur Trinkerin, der Vater versucht das Leben auszuhalten. Parallel dazu erleben wir schon im Nachhinein den Vater in einem einsiedlerischen, nur von einem Hund begleiteten Leben auf einer Berghütte.
Der Leser ahnt, dass der Sohn nicht zurückkehren wird. Der Krieg nimmt der Verlobten den Geliebten, den Eltern das Kind. Nicht nur das, der Vater verliert auch noch seine Frau, die im Eis verschwindet. Eine heile Welt, die völlig zusammenbricht und in der der Vater auch auf seiner Berghütte plötzlich Bedrohung erlebt, die zu seinem eigenen Krieg führt. „Vielleicht weil der Frieden ein Zustand ist, den sie (die Menschen) gar nicht ertragen.“
Rausch erzählt atemberaubend dicht. Sein Buch kann man nicht aus der Hand legen.
Wertung: ****
Titel: Krieg
Verlag: Berlin Verlag
Autor: Jochen Rausch
Seiten: 224
Preis: 18,99 Euro
Tribunal
Spannender Politthriller
Der knapp 50jährige André Georgi hat erst mit 35 das Schreiben begonnen, vor allem als Drehbuchautor hat er eine Reihe von Erfolgen vorzuweisen. Er hat Vorlagen für den Tatort, für Bella Block, Marie Brand und Letzte Spur Berlin und die Verfilmungen von Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach und Siegfried Lenz verfasst. „Die Flut ist pünktlich“ von Lenz ist gerade erst im Fernsehen gelaufen. Das Thema der Konflikte im auseinanderfallenden Jugoslawien hat ihn schon länger fasziniert, nun macht er es im Kontext mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zur Grundlage seines ersten Romans.
Georgi erzählt sehr dicht und in wechselnden Perspektiven über ein brutales Attentat auf einen Kronzeugen in Den Haag. Die Ermittlerin des Tribunals, Jasna Brandic, entkommt nur knapp diesem Überfall. Wer soll nun überhaupt noch gegen den Kriegsverbrecher Kovac aussagen? Jasna begibt sich nach Serbien, um einen neuen Zeugen aufzutreiben, sie reist damit auch in ihre Vergangenheit. Der heutige Umgang mit dem Thema, das Verdrängen und Wegschauen werden zum Teil äußerst brutal vorgeführt. Georgi erweist sich als grandioser Arrangeur, gleichzeitig als sehr politischer Autor, der das Thema sehr ernst nimmt und nicht nur als Staffage nutzt. Ein spannender Erstling, wahrscheinlich auch die Basis für eine spätere Verfilmung, für die Georgi nun einmal die Vorlage liefern darf.
Wertung: ****
Titel: Tribunal
Verlag: Suhrkamp
Autor: André Georgi
Seiten: 316
Preis: 14,99 Euro
Dienstag, 24. März 2015
Krautkiller
Krautkiller im Kurhotel
Max Raintaler, Exkommissar aus München, ermittelt diesmal im Chiemgau als Privatdetektiv. Der wie sein Protagonist in München lebende Autor Michael Gerwien war fleißig in den letzten Jahren, seit die Alpen 2011 grollten, folgten schon sieben weitere Raintaler-Krimis.
Sein aktueller Roman „Krautkiller“ kann sehr wörtlich genommen werden, es ist schon recht makaber, was Raintaler und sein kurender Freund Hauptkommissar Franz Wurmdobler im Seehof in Bad Endorf erleben müssen. Die Küchenmannschaft des Hotels wird wie eine Gans gestopft aufgefunden. Allerdings wird den Köchen kein Mais und Schweineschmalz in den Schlund gestopft, sondern Kraut, an dem sie elendig ersticken. Anfangs glaubt die örtliche Polizei gar nicht an Mord, bis sich die Todesfälle häufen. Die um das Renommee ihres Hotels besorgte Chefin Maria Hochfellner beauftragt daher den Exkommissar mit der Aufklärung des eigenartigen Falls.
Man muss ihn schon mögen, den saufenden musikalischen Draufgänger, der manchem Rock hinterherläuft. Gerwien bedient viele Klischees, inhaltlich und sprachlich, das ist eher biedere Kunst, die er abliefert, aber augenzwinkernde, sodass Gerwiens Krimis der Unterhaltungsfaktor nicht abgesprochen werden kann. Das gilt auch diesmal, die Spannung und Unterhaltung hält vor, wenn auch das Ende an den Sauerkrautfäden herbeigezogen ist.
Wertung: ****
Titel: Krautkiler
Verlag: Gmeiner
Autor: Michael Gerwien
Seiten: 309
Preis: 11,99 Euro
(Seite 1 von 1, insgesamt 20 Einträge)