Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Nominiert für das Spiel des Jahres 2002: PUERTO RICO
Wirtschaftsspiel par excellence
Wie viel Regeln braucht der Mensch? Wir haben unsere Verkehrsregeln, die wir in der Regel berücksichtigen. Wir haben Gesetzesregeln und Steuerregeln, bei denen nicht einmal die Fachleute den nötigen Durchblick haben. Wir haben kurze und lange Spielregeln für viele, viele Brett- und Kartenspiele. Was ist dem Durchschnittsspieler zuzumuten? Ein zwölfseitiges, sehr gut strukturiertes Regelwerk? Oder werden viele in der Erwartung einer gut halbstündigen Lektüre passen? Schade wär’s, denn die Lektüreergebnisse bescheren ein Spielvergnügen, das zuletzt die SIEDLER VON CATAN vermittelt haben.
Das Spielerlebnis der besonderen Art liefert uns PUERTO RICO von Andreas Seyfarth, erschienen im Alea-Verlag, einen Ableger der Firma Ravensburger, der sich der gehobeneren Spielkost verschrieben hat. Drei bis fünf Spieler tragen zur Entwicklung Puerto Ricos bei. Jeder besitzt dabei sein eigenes Territorium, das er auf zwei Spielplänen bei der Anlage von Plantagen und bei seiner Stadtentwicklung mit Verarbeitungsbetrieben, Wirtschaftsgebäuden und Bildungseinrichtungen voranzubringen versucht. Die Strategien, die dazu eingeschlagen werden, sind äußerst vielschichtig, daraus ergibt sich auch die umfangreiche Regel. Der Spielablauf selbst ist aber schnell verinnerlicht. PUERTO RICO “ ist einerseits ein Wirtschaftsspiel, andererseits ein Rollenspiel. Denn immer wieder müssen die Spieler entscheiden, mit welcher Rollenübernahme sie ihre wirtschaftliche Entwicklung forcieren wollen. Da gibt es die Siedler-Rolle, die neue Plantagen bringt, oder den Bürgermeister, der neue Kolonisten, die für die Arbeit auf den Plantagen und in den Manufakturen benötigt werden, an Land holt. Wichtig ist auch der Baumeister, der für die städtebauliche Erweiterung sorgt. Schließlich muss irgendwann einmal produziert und verkauft werden, dazu stehen die Rollenkarten des Aufsehers, Händlers oder Kapitäns zur Auswahl. Ab und zu ist es hilfreich in die Rolle eines Goldsuchers zu schlüpfen, denn der Ausbau der Stadt kostet viel Geld. Das Spiel endet, wenn ein Spieler seine 12 Stadtfelder bebaut hat, der Kolonisten-Nachschub versiegt oder keine Siegpunkte mehr verteilt werden können. Das ist bei der ersten Runde erst nach knapp drei Stunden der Fall. Geübte Spieler werden aber schon nach 60 bis 90 Minuten eine Revancherunde fordern.
Kaum ein Spiel der letzten Jahre besaß einen solchen Tiefgang wie PUERTO RICO. Die Gewinnstrategien sind so vielschichtig wie das Spiel selbst. Jeder spielt zwar für sich, eine direkte Interaktion wie bei den SIEDLERn VON CATAN findet nicht statt, trotzdem achten alle genau darauf, was die Mitspieler planen. Da wird kräftig diskutiert am Spieltisch, da werden nicht immer ganz uneigennützige Tipps gegeben, damit sich die eigene Wirtschaftswelt von PUERTO RICO lukrativ entfalten kann. Im Übrigen bietet die Entwicklung der puertoricanischen Welten vor den Spielern auch optischen Genuss. Der Grafiker Franz Vohwinkel hat das Spiel hervorragend umgesetzt.
PUERTO RICO ist ein absolutes Muss für Liebhaber anspruchsvollerer Spiele. Es könnte auch viele Menschen zu komplexeren Spielen hinführen, wenn sie sich der Regellektüre stellen. Der Autor, Andreas Seyfarth, hat sich 1994 für das Spiel MANHATTAN schon einmal über den Titel „Spiel des Jahres“ freuen dürfen. Es wäre ihm und seinem fantastischen Spiel zu gönnen, wenn er sich acht Jahre danach wieder freuen könnte.
Wieland Herold
Titel: Puerto Rico
Autor: Andreas Seyfarth
Grafik: Franz Vohwinkel
Verlag: Alea / Ravensburger
Spieler: 3-5
Alter: 12 Jahre
Spieldauer: 90 Minuten
Preis: ca. 29 Euro
Die Rezension erschien 2002 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 9 von 10 Sternen,
das entspricht: Jederzeit wieder
Spiel 5/2002 R 37/2020
Das zweite Bild zeigt Stefan Brück (Alea) bei der Präsentation von PUERTO RICO auf der Spiel in Essen 2001.
Den Kennerspielpreis gab es damals leider noch nicht, deshalb reichte es für PUERTO RICO nur für einen Platz auf dem Treppchen.
Nominiert waren: