
Spieler sind verrückte Menschen. Sie bewegen sich in allen Zeitaltern von der Frühgeschichte der Menschheit bis in die ferne Zukunft zum Angriff der Zylonen auf Galactica. Sie bewegen sich in mexikanischen Tempeln, auf der chinesischen Mauer, spielen Jule Vernes „Reise um die Welt in 80 Tagen“ nach oder Serien wie „Walking Dead“. Dass sie sich auch in das kleine ostfriesische Örtchen Arle verirren könnten, um mit Begeisterung das mühselige Leben an der Nordseeküste zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachzuempfinden, hätte vor AGRICOLA wahrscheinlich niemand geahnt. Am wenigsten die Arler selbst, deren Kirchturm in Spielerkreisen nun genauso bekannt ist wie die Doppeltürme von NOTRE DAME. Als 1163 der Baubeginn der Kathedrale des Erzbistums Paris startete, war die kleine Kirche in Arle urkundlich schon 1106 erstmals erwähnt worden.
Uwe Rosenberg hat der Region, in der er aufwuchs, mit dem Spiel ARLER ERDE ein gewichtiges Denkmal gesetzt. Wenn die Jury „Spiel des Jahres“ noch Sonderpreise wie „Geschichte im Spiel“ verleihen würde, hätte diese Idee durchaus einen Sonderpreis „Regionalgeschichte im Spiel“ verdient. Dem Gesamtprodukt merkt man an, dass es ein Herzblutspiel Rosenbergs ist: Detailverliebt, gespickt mit regionalen Anspielungen und ergänzt durch ein 36seitiges Kompendium, in dem der Autor allen Spielern seine Heimat nahebringt. Es reicht vom Grünkohlessen über die „Bohntjesopp“ und Teezeremonie zur Deichwirtschaft und Moorkolonisation.
Das sind die Spannungsbögen die ARLER ERDE auch im Solo- oder Zweipersonenspiel kennzeichnen. Damit die Spieler im Halbjahrestakt über knapp fünf Jahre hinweg ihre Höfe erfolgreich bewirtschaften, brauchen sie für Gebäude, Ackerflächen, Schaf- und Rinderzucht mehr Land. Das müssen sie dem Meer durch Deichbau abringen und dem Moor durch Trockenlegung.
Rosenberg hat sich dazu 30 verschiedene Aktionsbereiche ausgedacht, die die Spieler hälftig im Winter- und im Sommerhalbjahr nutzen. Vier Familienmitglieder stehen dafür zur Verfügung. 36 Aktivitäten sind das damit über die gesamte 120minütige Spielzeit, die natürlich nach Punkten abgerechnet wird. Wer anfangs von der Vielfalt erschlagen ist, stellt schnell fest, dass ARLER ERDE einfach ausprobiert werden muss. Es gibt eigentlich keine schlechten Aktionen. Für den Winter müssen die Spieler beachten, dass Heizmaterial und Nahrung im Hause ist. Schnell wird auch klar, dass Reisen lohnt, Fuhrwerke in die Umgebung fahren sollten.
Als Oldenburger bin ich allerdings empört, dass Rosenbergs Karren zwar von Arle bis Bremen unterwegs sind, aber das Großherzogtum an der Hunte nicht bereist wird. Trotz der Ungehaltenheit, ARLER ERDE spiele ich zu jeder Zeit wieder. Die Vielschichtigkeit fasziniert, Rosenberg hat wieder einmal ein perfektes Spiel erfunden!
Wertung: Jederzeit wieder
Titel: ARLER ERDE
Verlag: Feuerland
Autor: Uwe Rosenberg
Spieleranzahl: 1-2
Alter: ab 14 Jahren
Dauer: ca. 90 Minuten
Preis: ca. 50 Euro