Dienstag, 6. Juni 2017
DAS GRIMOIRE DES WAHNSINNS
Wer kennt ihn nicht, den „Zauberlehrling“ aus der Ballade von Johann Wolfgang von Goethe. Irgendwie ist er ja sympathisch, wenn er in seiner Tollpatschigkeit dem Wasser Tor und Tür öffnet und darin zu ertrinken droht. Die Geister, die Goethes Zauberlehrling rief und nicht mehr loswurde, prägen auch DAS GRIMOIRE DES WAHNSINNS, das sich der in Nancy lebende Autor Maxime Rambourg ausgedacht hat. Hier öffnen zwei bis fünf Zauberlehrlinge ein ihnen verbotenes altes Zauberbuch und sind ganz plötzlich schrecklichen Flüchen ausgesetzt und verfallen immer mehr dem Wahnsinn.
Rambourgs Lehrlinge sind nicht auf sich angewiesen, sie kooperieren, um die Schrecken des Buches zu bewältigen. Jeder besitzt einen Zauberlehrling mit einer besonderen Fähigkeit und einer Anfangsausstattung von Ressourcenkarten, die sich auf die vier Elemente beziehen. Diese werden zu einem Kartendeck gemischt. Grundkenntnisse erster Zauber sind ebenfalls vorhanden.
Das Zauberbuch wird mit einem zufälligen Buchdeckel, fünf weiteren Buchseiten und einer letzten Erfolgs- und Misserfolgsseite zusammengestellt. Ergänzungszauber liegen bereit und auf dem Spielplan wird festgelegt, ob die sechs Spielrunden weniger oder stärker Fluch belastet ablaufen sollen.
In die einzelnen Runden starten die Spieler mit jeweils sechs Karten aus ihrem Ressourcendeck. Sie müssen sich durch das Buch vorkämpfen, bis sie das Schlussmonster besiegt haben. Die Fluchkraft des Monsters wird durch Elementekarten oder Zauberaktivitäten der Adepten aufgehoben. Wer an der Reihe ist, aktiviert erschöpfte Zauber in seiner eigenen Auslage und bewegt dann das Zauberbuch, den sogenannten Ritualmarker, der wiederum zu bannende Flüche für die Spieler bringen kann. Stets wirkt er mit seinen Elemente-Karten. Er kann damit Flüche bekämpfen, Zauber auslösen oder neue kaufen und Wahnsinn kurieren. Der überfällt die Spieler immer, wenn etwas nicht klappt. Er vermüllt das Deck und zwingt Spieler zum Ausscheiden, wenn sie sechs Wahnsinnskarten besitzen. Aktionen können beliebig wiederholt werden, solange die Ressourcen reichen. Für das Zusammenspiel ist auch die Unterstützungszone wichtig, in der meistens bis zu drei Karten liegen dürfen. Dieser Bereich hilft allen weiter, die zur Bekämpfung der Flüche auf fremde Ressourcen zurückgreifen wollen. Am Ende der Aktionen kommt es zur Regeneration, wenn die Handkarten wieder auf sechs ergänzt werden.
So kämpfen sich die Spieler durch die Flüche und Buchseiten. Zwischendurch werden Verluste akzeptiert, entscheidend bleibt der zu gewinnende Schlusskampf. Die zauberhafte Stimmung, die Geschichte und Spielmaterial herstellen, geht im Spielablauf durch das doch eher dröge Sammeln und Einsetzen von Ressourcen-Karten unter. Das mag in der Feinabstimmung Spaß bereiten und führt durchaus auch zu abgestimmter Zusammenarbeit, kommt aber bei weitem nicht an die echte Kooperation in CAPTAIN SONAR heran. Zumal sich die Runden doch ziemlich dahinziehen. Die angegebene Spieldauer von 60 bis 90 Minuten haben wir in Vollbesetzung mit fünf Spielern oft deutlich überschritten und fast verdoppelt. Dafür sind die Abläufe dann doch zu redundant, so dass der Wiederspielreiz sich als nicht besonders groß erwies. Letztlich bieten die Decks zu wenig Abwechslung, die Flüche und ihre Wirkungen bleiben eindimensional. Andere sehen das positiver, die habe ich auch in meinen Spielrunden erlebt, von mir aus bleibt Rambourgs Zauberbuch aber mindestens bis Ende nächster Woche zu.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: DAS GRIMOIRE DES WAHNSINNS
Autor: Maxime Rambourg
Verlag: iello / Heidelberger
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 2 - 5 Spieler
Spielzeit: ca. 90 - 180 Min.
Preis: ca. 35 Euro
Spiel 46/2017
CAPTAIN SONAR
Die Bandbreite der empfohlenen Kennerspiele ist 2017 riesig. Sie reicht von der Nordsee bis zum Mars, von der Rätselspannung einer Escape-Reihe bis zum strategischen Viehtrieb nach Kansas, vom sensiblen Antikriegsspiel LES POILUS zum knallharten SCHIFFE VERSENKEN in CAPTAIN SONAR. Die beiden französischen Autoren Roberto Fraga und Yohan Lemonnier lösen sich beim letzten Spiel weit von der Papiervorlage und lassen hinter einem riesigen Sichtschirm zwei U-Bootmannschaften in Echtzeit gegeneinander antreten.
Damit etwas Distanz aufkommt, spielt CAPTAIN SONAR nicht im Zweiten Weltkrieg. Die Autoren verlegen ihr Kampfszenarium einfach in eine nahe Zukunft ins Jahr 2048, in gut dreißig Jahren soll ein Handelskrieg um Seltene Erden toben. Wir sind auch keine NATO-Offiziere oder gehören der Volksbefreiungsarmee Chinas an, sondern kämpfen unseren lautlosen Krieg für Großkonzerne.
Das Entscheidende bei CAPTAIN SONAR sind das Teamspiel und die Kommunikation in der Gruppe. Wahrscheinlich existiert bisher kein Spiel, das die vernetzte Zusammenarbeit so ernst nimmt, wie dieser Unterwasserkampf.
Die Auseinandersetzung tobt in unterschiedlichen Archipelen mit mehr oder weniger Inseln. Unterlegt sind diese Wasserwelten mit dem aus SCHIFFE VERSENKEN bekannten Raster. Hier sind es 15x15 Felder, unterteilt in neun Sektoren. In dieser Region bewegen sich nur zwei U-Boote, deren Mannschaften am Anfang nichts voneinander wissen. In jedem Team sind vier entscheidende Rollen zu besetzen. Da gibt es den kursbestimmenden Kapitän, der die wesentlichen Kommandos erteilt. In seinem Logbuch hält er seine Fahrt auf einer Seekarte fest. Die gegnerischen Abhörvorrichtungen sind so gut, dass sie im Funkraum die Kommandos der Kapitäne mithören können. Die Funker tragen daher den Kurs auf einer verschiebbaren Folie ein und versuchen mit der Zeit die Position des gegnerischen Bootes zu bestimmen. Der Erste Offizier kontrolliert die Waffen- und Ortungssysteme und kann Voraussetzungen für Schleichfahrten schaffen. Trotz technischen Fortschritts hakt es aber in den Systemen, das spürt der Maschinist ständig, denn er muss bei jedem Zug mit Systemausfällen kämpfen. Damit es immer wieder einmal zur Selbstreparatur kommt, ist seine enge Abstimmung mit dem Kapitän wichtig. Wenn bei ihm der Waffenbereich ausfällt, dann können keine Minen gelegt oder Torpedos abgeschossen werden. Am Anfang muss er die Ortungssysteme schadfrei halten, damit Drohnen und Sonar helfen, die Position des Gegners zu bestimmen.
Wird der Feind getroffen oder läuft er auf eine ausgelegte Mine gibt es Schadenspunkte. Die Mannschaft, die zuerst vier Schäden davonträgt, verliert das Spiel. CAPTAIN SONAR mag über die ersten Runden etwas holprig anlaufen. Deshalb ist dringend zu empfehlen, nicht sofort mit dem Echtzeitspiel zu beginnen, sondern rundenbasiert zu starten, damit beide Gegner erst einmal in Ruhe abwechselnd an der Reihe sind und sich das Zusammenspiel des Kapitäns mit seinen Mannschaftsteilen einspielen kann. Der Funker muss zuhören lernen, insofern müssen die Richtungssignale immer klar als Befehle gegeben werden. Der Erste Offizier muss eine Balance zwischen Ortung und vorbereitender Kampfhandlung im Blick haben, wogegen der Maschinist Einfluss auf die Selbstheilungskräfte des Systems nehmen muss. Ist ein Gefühl für alle Aspekte da, dann kann sich die Mannschaft möglichst in Vollbesetzung ins Echtzeitspiel stürzen.
CAPTAIN SONAR bietet ein außergewöhnliches Spielerlebnis, solange drei bis vier Partner in jedem Boot sitzen. Ursprünglich hatte Matagot sich sogar den Unterwasserkampf für zwei bis acht Spieler gedacht, das wäre zu zweit aber eine Zumutung. Pegasus fordert immerhin mindestens vier Spieler, die sollten dann aber besser rundenbasiert kämpfen. So richtig spannend wird es nur in der großen Gruppe, in der dann ein echtes Wir-Gefühl aufkommen kann, wenn die Maschinen gut geölt laufen, die Ortung funktioniert und die Minen geschickt gelegt sind.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: CAPTAIN SONAR
Autoren: Roberto Fraga und Yohan Lemonnier
Verlag: Pegasus Spiele
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 4 - 8 Spieler
Spielzeit: ca. 20 - 45 Min.
Preis: ca. 40 Euro
Spiel 45/2017
Sonntag, 4. Juni 2017
LES POILUS
50 Prozent der Kenner-Spiele 2017 spielen sich kooperativ. So dominant hat sich das Miteinander-Spielen noch nie durchsetzen können. Was vor fast 35 Jahren der Herder Verlag durch das BÄRENSPIEL einleitete, ist schon lange aus der Nische der Kinderspiele in den Familien- und Erwachsensektor vorgedrungen.
Vor Jahren noch unvorstellbar, aber nun können wir uns sogar den Schrecken von Kriegen kooperativ nähern, „Im Westen nichts Neues“ atmosphärisch dicht verpackt in einer kleinen quadratischen Schachtel. Unter die Haut gehend, mit persönlicher Betroffenheit verbunden, wenn die Spieler zu Akteuren im Schützengraben an der französisch-deutschen Frontlinie im Ersten Weltkrieg werden.
Darf man das so individualisiert zum Thema eines Spiels machen? Fabien Riffaud und Juan Rodriguez sind sich dieser Gratwanderung bewusst. Daher erläutern sie ausführlich ihre Absichten. Für sie ist ein „Spiel eine Ausdrucksform der Kultur“. Es gebe daher kein Thema, das man nicht behandeln könne. Allerdings gebe es heikle Themen, zu denen „gehören die Erlebnisse von Frontsoldaten“, die sie aus der Sicht der täglichen Sorgen und Ängste dieser Menschen betrachten wollen. Zu ihrem Überlebenswillen trugen ihr Zusammenhalt, ihre Brüderlichkeit bei.
Nachvollziehbar vor allem im häufigen Scheitern wird dies für zwei bis fünf Spieler. Wer überhaupt eine Chance beim Überleben der Gruppe haben will, sollte mit vier oder mehr Partnern antreten. Da zieht Gustave Bidau wie ein kleiner Obelix an die Front, Anselme Perrin ist in Gedanken immer bei seiner geliebten Juliette, Charles Saulière hat schon unendlich viele Schützengräben ausgehoben wie Felix Moreau, den die ganze Last des Krieges schon arg gebeugt hat. Sie stehen vor vielen Bewährungsproben, 25 solche Bedrohungskarten liegen auf einer Friedenstaube, 36 weitere auf einem Kriegerdenkmal, auf dem die Namen der vier Freunde schon eingraviert sind. Im Spielverlauf müssen sie es schaffen, den Kartenstapel bis zur Friedenstaube aufzudecken, erscheint das Denkmal, ist alles vorbei.
Die Karten zeigen in unterschiedlicher Häufigkeit Bedrohungen, das kann die Nacht sein, Schnee und Regen machen ihnen auch zu schaffen. Das sind aber auch die direkten Kriegseinwirkungen wie Granaten- und Giftangriffe. Im Kopf haben sie immer den schrillenden Ton der Trillerpfeife, der sie zum Sturmangriff ruft. Meist besonders belastend sind die Karten „Schwerer Schlag“, die Phobien für Bedrohungen, aber auch sonstige Belastungen bedeuten können.
Anfangs bestimmt der Gruppenleiter, wie viele Karten alle aufnehmen. Danach werden diese ins Niemandsland gespielt, können durch flammende Aufrufe Bedrohungen aus den Handkarten abgeworfen werden. Jeder Soldat besitzt einen persönlichen Glücksbringer, mit dem er eine Karte aus dem Niemandsland beseitigen darf. Das Ziel aller ist zu verhindern, dass drei identische Bedrohungen im Niemandsland und als Phobien offen ausliegen. Die Phobien zählen nur solange, bis sich ein Spieler zurückgezogen hat. Wer sich zurückzieht, gibt einem Kameraden verdeckt Rückhalt, der am Ende ausgewertet wird. Wer den meisten Rückhalt hat, darf zwei Karten „schwerer Schlag“ abwerfen. Das ist deshalb wichtig, da das Spielende auch dann eintreten kann, wenn vor einem Spieler vier Symbole „Schwerer Schlag“ ausliegen. Haben sich alle rechtzeitig zurückgezogen, werden Karten aus dem Niemandsland abgeworfen. Sollten vorher drei identische Symbole zu sehen sein, scheitert der Einsatz. Alle Karten kommen wieder auf den Friedenstaubenstapel und rücken das Überleben in größere Ferne. In jedem Fall hat die Gruppe an Moral verloren und muss mindestens drei Karten vom Denkmal-Stapel auf die Friedenstaube platzieren. Der nächste Gruppenführer legt nun erneut fest, mit wie vielen Karten er und seine Kameraden die nächste Runde überstehen wollen.
Bis zur Friedenstaube vorzudringen ist schwer, oft genug sehen die Soldaten ihre eigenen Grabsteine. Der Kriegsalltag ist überhaupt nicht kalkulierbar, das liegt vor allem an den Karten mit Fallensymbol. Werden diese gelegt, muss eine weitere Karte aufgedeckt werden, die oft die knappen Kalkulationen mit den Bedrohungen zunichtemacht. Die größte Erschwernis ist aber, dass es leider nur sehr leise im Schützengraben zugehen darf und für die jeweiligen Handkarten sogar ein Schweigegelübde gilt. Wer zumindest anfangs Erfolgserlebnisse haben will, lässt beim sogenannten „Spiel für Rekruten“ die Fallen weg. Wer es schwerer will, kann im „Spiel für Veteranen“ die Friedenstaube gleich mit 30 Karten abdecken.
Im häufigen Scheitern spiegelt sich die bedrückende Frontstimmung wider. Da wird eine harmlose Trillerpfeife eine angstbesetzte Bedrohung, da ist der Giftgasangriff bei Nacht plötzlich sehr real. Der einzige Hoffnungsschimmer ist das historische belegte gemeinsame Weihnachtsfest an der Front im ersten Kriegsjahr, diese Karte, die einen „Schweren Schlag“ beseitigt, gibt es aber leider nur einmal im Spiel.
Das muss man aushalten können, auch Erwachsene habe ich erlebt, die sich dem nicht stellen wollten. Wenn Gruppen sich aber darauf einlassen, dann gehört das Bestehen dieser Form von Kriegsschrecken zu einem ganz speziellen Spielerlebnis mit einem Aufatmen der besonderen Art, wenn Gustave, Anselm, Charles und Felix die Friedenstaube endlich sehen. Zur ganz besonderen Atmosphäre des Spiels tragen die Illustrationen des beim Anschlag auf Charlie Hebdo ermordeten Karikaturisten Tignous bei. Die Jury „Spiel des Jahres“ kommentiert zurecht: „Welch beklemmendes Gefühl in einem Spiel, das den Krieg bemerkenswert sensibel und grafisch beeindruckend thematisiert.“
Wertung: Nächste Woche wieder (weil ich mich nicht jeden Tag diesem schweren Thema stellen will)
Titel: LES POILUS
Autoren: Fabien Riffaud, Juan Rodriguez
Verlag: Sweet Games Vertrieb: Pegasus
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 - 5 Spieler
Spielzeit: ca. 30 Min.
Preis: ca. 20 Euro
Spiel 44/2017
Samstag, 3. Juni 2017
ESCAPE-Spiele
Live Escape Rooms gibt es schon seit zehn Jahren. Die ersten Anbieter traten in Japan auf. Deutschland musste bis 2013 warten, als in München der erste Escape Room öffnete. Inzwischen hat sich dieses Gruppenabenteuer der Flucht aus einem verschlossenen Raum lawinenartig entwickelt. Seit 1. Juni gibt es hier 220 Anbieter mit 451 Räumen in 91 Städten. So ein einstündiges Abenteuer geht ganz schön ins Geld. Mit einer Viergruppe einem Raum zu entkommen ist kaum unter einhundert Euro machbar.
Deutlich preiswerter sind die ESCAPE GAMES, die seit Herbst 2016 auf dem Markt sind. Im Augenblick gibt es vier Anbieter. Da sind die EXIT-Spiele von Inka und Markus Brand, die Kosmos veröffentlicht hat. Noris hat mit ESCAPE ROOM - DAS SPIEL nachgezogen, schon vorher war ESCAPE THE ROOM – DAS GEHEIMNIS DER STERNWARTE von Thinkfun und HCM auf dem Markt. Seit Februar liegt auch UNLOCK! von den Space Cowboys vor, das am 23. Februar auf dem Spielefestival in Cannes mit dem As d'Or 2017 ausgezeichnet wurde.
Die deutschen Juroren haben vor knapp vierzehn Tagen gekontert und ebenfalls national entschieden. Am Haupttrend des letzten Jahres konnte auch die Jury „Spiel des Jahres“ nicht vorbeigehen, sie entschied sich für EXIT DAS SPIEL und würdigte mit DIE VERLASSENE HÜTTE, DAS GEHEIME LABOR und DIE GRABKAMMER DES PHARAO gleich alle drei Rätselabenteuer der ersten Serie.
Es gibt mehrere Gründe, weshalb die Kosmos-Reihe eindeutig die Nase vor allen anderen Spielkonzepten hat. An erster Stelle ist dabei die Rätselqualität zu nennen. Das, was das Ehepaar aus Gummersbach abliefert, verlässt eingetretene Rätselpfade, ist innovativ und immer wieder überraschend. Noris kann dabei mit seinen vier Fällen von ESCAPE ROOM - DAS SPIEL fast mithalten, auch hier gibt es viele knackige Rätsel, deren Lösung nicht einfach ist. UNLOCK! besitzt ebenfalls spannende Aufgaben, insbesondere das letzte Abenteuer DIE INSEL DES DOKTOR GOORSE enthält einen interessanten Ansatz innerhalb des kooperativen Vorgehens. Schwach und wenig fordernd sind die Rätsel beim GEHEIMNIS DER STERNWARTE. Die vorgegebenen 90 Minuten erreicht man meist in der Hälfte der Zeit, auch bei der Spielerzahl, die mit bis zu acht angegeben wird, sollte man aufpassen, sonst ist Langweile am Tisch garantiert.
Nicht jede Gruppe löst sofort alle Rätsel, gerade das längere Tüfteln und Überlegen bringt ja den Spaß. Trotzdem tritt regelmäßig die Situation auf, dass man Hilfe beim Weiterkommen benötig. Daher muss das Hilfesystem wirklich hilfreich sein. Das einzige immer funktionierende System besitzt die EXIT-Reihe. Kosmos lässt die Spieler nie allein. Sie können auf passende Hilfekarten zurückgreifen, die erste Tipps bis zur vollständigen Auflösung liefern. Im ESCAPE ROOM lässt der Decoder Hilfestellungen von Zeit zu Zeit zu, das geschieht aber hier zufällig und passt oft nicht zum Aufklärungsfortschritt der Gruppe. Unbefriedigend ist auch das Hilfesystem bei UNLOCK!, da die das Spiel begleitende App oft nur unzureichende Unterstützung liefert. Zum Zeitpunkt der Auszeichnung in Frankreich kam man daher an manchen Stellen überhaupt nicht weiter, sodass viele Gruppen das Spiel frustriert beiseitelegten. Inzwischen haben die Space Cowboys nachgebessert und mehrere Hinweise eingeführt, die man sich anzeigen lassen kann. Für ESCAPE THE ROOM gibt es ein im Internet abrufbares Hilfesystem, auf das man aber in der Regel gar nicht zurückgreifen muss.
Kein Spiel kann die räumliche Atmosphäre und Lösungshaptik eines echten Escape-Raums wirklich nachbilden. Am nächsten kommt dabei vielleicht noch Noris mit seinem Decoder und Schlüsselsystem im ESCAPE ROOM. Atmosphärisch will dies auch HCM erreichen. Das Konzept bietet musikalische Begleitung und Tipps für Verkleidungen an, eine Einladung zum Event eingeschlossen. Folgt man diesen aufwendigen Vorschlägen, kann der Abend sehr peinlich nach nicht einmal einer Stunde enden. Sehr wenig Atmosphäre bietet das reine Kartensystem von UNLOCK!. Zwar spielen auch im EXIT-Konzept Karten eine wesentliche Rolle, sie werden aber stets ergänzt durch ein mehrseitiges Heft und durch sogenannte seltsame Teile, zu denen oft das gesamte Spielmaterial gehört.
Von Wiederspielwert können wir bei allen Escape-Spielen nicht reden. Wer einmal die Lösung gefunden hat, wird sich nicht unbedingt dem dann langweiligen Abenteuer noch einmal stellen wollen. Von daher war Kosmos konsequent, das dortige Material wird beschriftet, geknickt und zerschnitten. Wer nicht vorher kopiert, wird keins dieser Spiele noch einmal spielen können. Bei einem Preis von rund 13 Euro bleibt das trotzdem ein preiswertes Abenteuer, die bisher erschienen sechs Spiele sind immer noch günstiger als der Besuch eines Escape-Raums. Alle anderen Verlage bieten Optionen an, die die Spiele verschenk fähig erhalten. Im UNLOCK-System ändert sich an den Karten nichts. Bei HCM gibt es exakte Anleitungen, nach denen das Material wieder für ein neues Spiel vorbereitet werden kann. Bei Noris kann man das Spielmaterial noch einmal herunterladen und ausdrucken.
Mit einer Akzentsetzung auf das Rätselvergnügen gibt es für mich eine klare Reihenfolge der zur Zeit auf dem Markt befindlichen Escape-Spiele:
1. EXIT – DAS SPIEL von Kosmos (auch die drei neuen Fälle halten das Niveau)
2. ESCAPE ROOM - DAS SPIEL von Noris
3. UNLOCK! von den Space Cowboys
4. ESCAPE THE ROOM von Thinkfun / HCM KINZEL
Nun darf man gespannt sein, ob diese Führung innerhalb des Genres auch ausreicht, um in Führung beim Kampf um den anthraziten Pöppel zu gehen. Das dürfte letztlich eine grundsätzliche Entscheidung der Jury sein. Folgt sie dem innovativen Trend der Zeit, dann müsste EXIT gewinnen, bleibt sie eher im traditionellen Rahmen, dann haben die RÄUBER DER NORDSEE gute Chancen, zeigt sie, dass auch komplexere Spiele auszeichnungswürdig sind, dann müsste TERRAFORMING MARS gewinnen. Am 17. Juli wissen wir mehr.
Wertung: Gerne morgen wieder (aber einen neuen Fall)
Titel: EXIT DAS SPIEL
Autoren: Inka und Markus Brand
Verlag: Kosmos
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 1 - 6 Spieler
Spielzeit: ca. 45 - 90 Min.
Preis: ca. 13 Euro
Wertung: Gerne morgen wieder (aber einen neuen Fall)
Titel: ESCAPE ROOM - DAS SPIEL
Autor: Andrea Hofbeck
Verlag: Noris
Alter: ab 16 Jahren
Spielerzahl: 2 - 5 Spieler
Spielzeit: ca. 60 Min.
Preis: ca. 39 Euro
Wertung: Nächste Woche wieder (aber einen neuen Fall)
Titel: UNLOCK!
Autoren: Alice Carroll, Thomas Cauët, Cyril Demaegd
Verlag: Space Cowboys
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 - 6 Spieler
Spielzeit: ca. 60 Min.
Preis: ca. 29 Euro
Wertung: Vielleicht nächsten Monat wieder (aber einen neuen Fall)
Titel: ESCAPE THE ROOM
Autoren: Rebecca Bleau, Nicholas Cravotta
Verlag: Thinkfun / HCM Kinzel
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 3 - 8 Spieler
Spielzeit: ca. 90 Min.
Preis: ca. 20 Euro
Spiel 43/2017
Donnerstag, 1. Juni 2017
RÄUBER DER NORDSEE
Vor der Bekanntgabe der Nominierungen der Jury „Spiel des Jahres“ erfasste Carsten Reuter vom Schwerkraft Verlag doch die Nervosität. Er schrieb: „Eigentlich wollte ich cool bleiben, aber das ist absolut unmöglich“. Jetzt fiebere er auch mit und hoffe, dass sein junger Verlag in irgendeiner Form berücksichtigt werde.
Dass die Berücksichtigung dann gleich doppelt erfolgte, hatte er sich allerdings nicht träumen lassen. RÄUBER DER NORDSEE war für viele schon nicht mehr ein Geheimtipp für die Nominierung im Kennerbereich, dass die Jury das eher als Expertenspiel eingeordnete TERRAFORMING MARS ebenfalls berücksichtigte, war dann schon eine kleine Sensation. Reuter war „baff“.
Die Auszeichnungen sind nicht unverdient, zumal der Verlag aus Oberhausen schon seit einigen Jahren überraschend frische Spielideen präsentiert. Da sind seine WINZIGEn WELTEN und die Welten von Ryan Laukat, die sich teils OBEN, teils UNTEN abspielen. Reuter liebt DAS GOLDENE ZEITALTER und KATAKOMBEN, für viele der von ihm übernommenen Lizenzen gilt, dass INNOVATION im Vordergrund steht.
Das trifft genauso für den Teil der NORDSEE-SAGA des Neuseeländers Shem Philips zu, den Reuter nun veröffentlicht hat. RÄUBER DER NORDSEE definiert das Worker Placement-Prinzip auf elegante Weise neu. Thematisch bewegt sich Philips allerdings in ausgetretenen Pfaden oder segelt in den üblichen Gewässern. Seine RÄUBER sind keine Vitalienbrüder, sondern lebten rund vierhundert Jahre früher. RÄUBER DER NORDSEE reiht sich ein in die Armada der Wikinger-Spiele, die schon lange Zeit und im Augenblick besonders den Spielemarkt fluten.
Bei Philips tun Wikinger das, was sie immer machen, sie überfallen Siedlungen, sacken Beute ein und beeindrucken damit ihren Häuptling. Nichts Neues, richtig, und trotzdem spielt sich das Bekannte anders. Zuerst werkeln und agieren die Wikinger ganz friedlich in ihrem Dorf, sie stellen dort für Kaperfahrten ihre Mannschaft zusammen und sammeln Proviant. Alle starten mit einem Team von drei Mitgliedern in Form von Handkarten, etwas Silber und einem schwarzen Arbeiter.
Der Arbeiter steuert den Spielablauf auf einfache, aber geniale neue Weise. Er kann zum Arbeiten ins Dorf geschickt werden, aber auch zum Plündern in Häfen, später auch in Außenposten, Klöstern oder Festungen. Anfangs sind nur schwarze Arbeiter im Spiel, mit den Plünderungen kommen weiße und graue dazu. Im Dorf gibt es Einrichtungen wie Rüstkammer, Mühle, Langhaus und Silberschmiede, die der Ressourcen- und Geldgewinnung dienen. Das Handkartenmanagement läuft überwiegend im Torhaus, der Ratshalle, Schatzkammer und Baracke ab. In eins dieser Gebäude wird am Anfang der eigene schwarze Arbeiter gestellt und dessen Funktion damit genutzt. Zusätzlich wird ein anderer Arbeiter von einer anderen Einrichtung entfernt und damit auch deren Aktion genutzt. Arbeiten stellt damit immer ein Geben und Nehmen dar, verbunden mit zwei Effekten, die eingelöst werden. Wer plündert, braucht ausgelegte Mannschaftsmitglieder, Proviant und manchmal auch Gold und einen Arbeiter einer passenden Farbe. Bei den Häfen reichen noch die schwarzen Arbeiter, später sind graue oder sogar weiße nötig. Die gewonnenen höherwertigen Arbeiter bringen beim Einsatz im Dorf meist bessere Erträge und lassen teilweise erst die Nutzung einiger Gebäude zu. Plündern bringt stets zu Beginn zufällig zugeloste Erträge wie Gold, Eisen, Vieh und Siegpunkte, die mit der militärischen Stärke korrelieren. Kurzfristig bitter, langfristig aber eher positiv sind im Beutegut auftauchende Walküren. Jede Walküre hat den Tod eines Mannschaftsmitglieds zur Folge. Wer am Ende aber sieben Walküren vorweisen kann, erhält zum Trost immerhin 15 Siegpunkte.
Über die Walküren wird auch eine der drei möglichen Schlussbedingungen ausgelöst. Gibt es keine mehr auf dem Spielbrett, enden die Plünderungen. Das passiert ebenfalls, wenn nur noch Beute für eine Festungsplünderung ausliegt. Schließlich gibt es noch Siegpunkte, die über sogenannte Darbringungsplättchen gewonnen werden können, können diese auf dem Spielplan nicht mehr auf drei ergänzt werden, ist ebenfalls das Spiel beendet. Am Ende zählen die Walkürenpunkte, Punkte auf einer Rüstungsleiste, alle Darbringungsplättchen, Mannschaftsmitglieder und nicht verwertete Beute wie Gold, Eisen und Vieh.
Einstieg und Spielablauf werden durch eine sehr eingängige Ikonographie unterstützt. Der Spielplan liefert alle notwendigen Informationen und ist selbst erklärend. Das gilt auch für die Karten der Mannschaftsmitglieder, die nicht nur auf den Schiffen eingesetzt werden, sondern die zusätzlich Aktionen in der Ratshalle ermöglichen. RÄUBER DER NORDSEE beginnt gemächlich, da der Aufbau einer schlagkräftigen Gruppe Zeit benötigt, mit Blick auf die Siegpunkte sollten alle zusätzlich früh in ihre Rüstungen investieren. Läuft die Maschinerie aber erst einmal an, dann folgt schnell eine Plünderung der anderen. Aufpassen müssen alle allerdings, dass sie gegen Ende die für die Plünderung der Klöster notwendigen weißen Arbeiter parat haben.
RÄUBER DER NORDSEE stellt mit den überschaubaren Anforderungen, den vielen kleinen Stellschrauben und damit verbundenen Spannungsbögen ein ideales anthrazites Spiel dar, das deutlich unter Expertenniveau liegt. Der schnell überschaubare Ablauf stellt auch das einzige Problem des Spiels dar. Der Rhythmus des Spiels ist zwischen Vorbereitung und Überfall doch arg repetitiv. Entschädigt werden die Akteure durch die Boni, die am Ende jedes Überfalls stehen. Unterm Strich ergibt das ein Spielvergnügen, dem ich mich gern morgen wieder stelle.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: RÄUBER DER NORDSEE
Autor: Shem Philips
Verlag: Schwerkraft-Verlag
Alter: ab 14 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 60 - 90 Min.
Preis: ca. 45 Euro
Spiel 42/2017
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