Samstag, 25. November 2017
SANTORINI
Historisch fand wohl in der Bronzezeit vor ca. 7000 Jahren die erste Besiedlung des griechischen Inselarchipels Santorin statt. Kretische Minoer siedelten dort wie auch Phönizier und Spartaner. Nach den Perserkriegen regierten ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. die Athener in Thera, der Hauptstadt des kleinen Inselstaates. Noch vor dem Dritten Punischen Krieg übernahmen die Römer etwa 150 v. Chr. für die folgenden Jahrhunderte die Macht in der Region, in der Nachfolge das oströmische byzantinische Reich. Unter venezianischer Herrschaft bekam die Inselgruppe im 12. Jahrhundert n. Chr. den Namen Santa Irini, nach der Heiligen Irene, der eine frühchristliche Basilika gewidmet war, daraus wurde schließlich der heutige Inselname SANTORINI. Kuppelkirchen waren in dieser Zeit schon typisch für die Bauoptik auf den Inseln. Die Hausformen ergaben sich aus aneinandergefügte kubische Zellen, die meist einen Raum darstellten. Die Besonderheit auf Santorin ist, dass die Dächer wie bei den Kirchen oft durch ein Tonnengewölbe aus leichten Bimsstein abgeschlossen worden.
Diese blaue Kuppeloptik prägt zum Teil heute noch die Orte auf den Inseln zum Beispiel Oia an der Nordküste von Santorin. Verdichtet erleben wir das architektonische Wunderwerk in Gordon Hamiltons SANTORINI.
Der kanadische Mathematiker Gordon Hamilton hat seine über dreißig Jahre alte Idee 2004 im Eigenverlag produziert, damals noch ganz in Weiß gehalten. Hamilton setzt sich dafür ein, dass Spiele zum mathematischen Verständnis von Kindern beitragen, was nicht zuletzt für sein SANTORINI gilt. Inzwischen liegt nach einer Crowdfunding-Kampagne eine Fassung von Roxley vor, die Spinmaster nun im Vertrieb hat. Auch wenn es Varianten für drei und vier Spieler gibt, empfehlen kann ich SANTORINI nur zu zweit.
Auf einem Felsplateau bebauen die Kontrahenten ein 5x5 Feld mit dreistöckigen Gebäuden. Wem es gelingt, einen seiner beiden Bauarbeiter auf das dritte Stockwerk zu führen, der gewinnt SANTORINI. Zuvor starten vier Arbeiter auf 25 Baufeldern. Wer am Zug ist, muss einen Arbeiter angrenzend bewegen, dabei darf er maximal eine Etage höher klettern oder beliebig in die Tiefe springen. Danach müssen die Spieler ebenfalls angrenzend ein Hausteil setzen. Das kann ein erstes Parterre-Teil mit Außentreppe sein oder aufgesetzte höhere Stockwerke. Wer verhindern will, dass der Gegenspieler ganz nach oben klettert, sollte ein Gebäude mit der typisch blauen Kuppel vollenden. Ein solcher kompletter Wohnturm sieht schön aus, ist aber spieltechnisch durch den Kuppelabschluss uninteressant.
Mehr Regeln gibt es nicht und trotzdem entwickelt sich daraus mit tollem Spielmaterial ein spannendes Duell. Treppenbauten über mehrere Stockwerke müssen die Kontrahenten geschickt planen, dabei gilt es, gegnerische Bauarbeiter fernzuhalten. Zusätzlich sollten sie aufpassen, dass sie nicht plötzlich eingemauert werden, denn einmal gesetzte Stockwerke dürfen sie nicht mehr entfernen. Ich mag dieses Spiel vor allem pur ohne weiteren Schnickschnack. Denn den gibt es: Ganze 30 Götterkarten halten Varianten und asymmetrische Ausgangskonstellationen bereit, die Apollo, Artemis & Co. ermöglichen.
Die BGG-Wertungen haben sich für die neue Fassung von SANTORINI hervorragend entwickelt. Mit 7,9 steht das Spiel zur Zeit unter den Top 100 (Platz 66) aller Spiele und unter den Top 10 der abstrakten (Platz 3) und Familienspiele (Platz 5). Das mag leicht überbewertet sein, aber SANTORINI ist ein überzeugendes strategisches Spiel, das sich auf Dauer zwar nicht unter den Top 3 halten wird, aber sicherlich unter den besten 30 Spielen. Eine Region, die zur Zeit für GIPF, UBONGO und BLOKUS gilt.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: SANTORINI
Autor: Gordon Hamilton
Verlag: Spinmaster
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 20 Min.
Preis: ca. 33 Euro
Spiel 72/2017
Donnerstag, 23. November 2017
MAJESTY
Was für ein Start in die Spielewelt. Moritz Brunnhofer, seit Jahresbeginn alleiniger Verlagschef von Hans im Glück, hat bei der Veröffentlichung von MAJESTY gleich elf Partner beteiligt. Marc Andrés Spiel erscheint in 16 Sprachen in wertiger Ausstattung und fantastisch von der französischen Illustratorin Anne Heidsieck gestaltet.
Ein solcher Hammerstart sollte begründet sein. Mit Marc André hat Brunnhofer einen Autor im Boot, der einst mit SPLENDOR die Space Cowboys bekannt gemacht hat. André besitzt ein gutes Händchen für einfache Spielstrukturen, die Spieltiefe zulassen und hohen Wiederspielreiz ergeben. Die Nähe zu SPLENDOR nutzt der Verlag, indem er auf wertige Münzen zurückgreift, die den haptischen Eindruck des Erfolgsspiels wiederholen. Auch das Bild von Marc André auf der Rückseite der Schachtel stammt aus dem Jahr 2014, in der nicht sichtbaren Verlängerung hält der Autor ein SPLENDOR in den Händen.
MAJESTY - DEINE KRONE – DEIN KÖNIGREICH plustert sich vom Titel her gewaltig auf, denn im Grunde genommen bewegen wir uns in überschaubarer feudaler Landschaft. Das Schloss mit angeschlossener Lazarettabteilung blickt nur auf eher dörfliche Einrichtungen herab. Im Herrschaftsbereich befinden sich eine Mühle, eine Brauerei, die dazugehörige Taverne, ein Wachturm zur Verteidigung und ein paar Hütten für Soldaten, die zu Angriffen ausschwärmen. Schließlich qualmt etwas abgelegen ein altersschwacher Schornstein aus einer Hexenhütte. Diese acht Gebäude liegen in vorgegebener Reihenfolge nebeneinander und ergeben ein von Heidsieck gestaltetes einheitliches Landschaftsbild, das jeder vor sich hat.
Bevölkerungslos ist diese Landschaft nur am Anfang. In zwölf Runden ziehen zwölf Bewohner ein und mehren den Reichtum ihrer Besitzer bis zu Endwertungen, die sie für (fast) jedes Gebäude vornehmen. Ergänzt wird die Schlusswertung durch eine Zusatzquadratur der belegten verschiedenen Einrichtungen.
Personennachschub wird je nach Spielerzahl über 33 bis 53 Karten geregelt, von denen immer sechs in einer offenen Auslage auf dem Markt sind. Der erste Bewohner kostet nichts, ab dem zweiten muss bezahlt werden. Die Kartenwährung sind dabei Meeples, von denen jeder anfangs fünf besitzt. Wer teuer einkauft, das heißt, die letzte Karte haben will, hat in Folgerunden weniger Auswahl, sodass sorgfältiges Abwägen nötig ist, bei welcher Karte man zuschlägt. Im Blick sind dabei die Einkommensregelungen der Karten und zum Teil deren Sonderfunktion, wenn sie ins eigene Dorf gelegt werden. So füllt jede Müllerin die Privatkasse erst einmal nur mit zwei Geld. Trotzdem wird sie gern genommen, denn jeder Brauer, der seinem Besitzer ebenfalls zwei Geld und zusätzlich noch einen Meeple bringt, ist ein potentieller Abnehmer für ihr Getreide und bringt allen Müllern im Spiel zwei weitere Münzen. Das System setzt sich beim Gastwirt in der Taverne fort, der erhält vier Geld, außerdem bekommen alle Zulieferer drei Geld. Ein solches Wechselspiel, das für ständige Interaktion sorgt, findet obendrein zwischen Wachturm und Kaserne statt. Verteidiger im Wachturm schützen vor Soldatenangriffen aus der Kaserne. Wer sich nicht verteidigt, verliert die am weitesten links liegende Person, meist eine Müllerin oder einen Brauer. Die Dorfbewohner müssen ins Lazarett. Zusätzlich zu diesem Gegeneinander bringen beide Figuren Geld. Der Verteidiger jeweils zwei Münzen für jede Person im Wachturm, aber auch für jeden Soldaten und Gastwirt, der Angreifer erhält drei Münzen für jeden Soldaten. Wer seine Verletzten aus dem Lazarett retten möchte, braucht die Heilkraft einer Hexe, die darüber hinaus lukrative Einnahmen für jede Müllerin, jeden Brauer und jede Hexe einbringt. Schließlich bleiben die majestätischen Schlossbewohner übrig, die Prinzessinnen, die dort einziehen, erweitern die Schatztruhe um fünf Münzen und einen Meeple.
Die Bilanzierung findet sehr real mit jeder ins Dorf einziehenden Person statt. Da wird nicht emotionslos auf einer Wertungsskala Buch geführt, sondern wertig in Münz-Chips ausbezahlt. Wirklich ein haptisches Vergnügen, bei dem der Verlag angeblich bewusst die 5er-Chips weggelassen hat. Wenn das stimmt, weil man dadurch häufiger wechseln muss, ist das zumindest ein guter Werbegag. In den schnell vorüberziehenden zwölf Runden ist man ständigen Zwängen ausgesetzt. Da will man den Aufbau von Punktemaschinen, zu denen Müllerin und Brauer gehören, die in genügender Anzahl Hexeneinsätze unabhängig von ihrer Heilkraft richtig lohnend machen. Da ist es das Geplänkel zwischen Verteidigungsaufbau und Angriffsvarianten. Und vor allem gibt es den notwendigen Blick auf die Endwertung. Einerseits den Mehrheitenkampf um jede Einrichtung, der zwischen zehn und sechszehn Münzen bringt und dann das Einkalkulieren von 49 Münzen, die nur dann ausgezahlt werden, wenn alle sieben zentralen Gebäude besetzt sind. Das Lazarett zählt dabei nicht mit, für jeden Verletzten, der am Ende dort liegt, muss sogar noch ein Taler gezahlt werden.
Das ist durchweg spannend, allerdings nur zum Teil steuerbar. Wer Pech hat und an keine Verteidigung kommt, wird ständig bestraft und muss auf viele Hexen hoffen. Der Glücksfaktor ist damit hoch, zumal in solchen Fällen der Schlussbonus von 49 Punkten ausbleiben kann, den man für den Gewinn schon einfahren sollte. Für Vielspieler wird das Ganze eine Portion Glück zu viel sein. Wer das einfache Familienspiel sucht, das Atmosphäre bietet, Interaktion und ein optisches und haptisches Vergnügen, der muss bei MAJESTY zugreifen. Eine erste Erweiterung ist übrigens mit B-Seiten der Gebäude inkludiert, das gelungene Tiefziehteil der Schachtel lässt Platz für viele weitere Optionen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MAJESTY
Autor: Marc André
Verlag: Hans im Glück
Alter: ab 7 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 20 - 30 Min.
Preis: ca. 33 Euro
Spiel 71/2017
Dienstag, 14. November 2017
BONK
Nach dem Erfolg von KLASK konnte die Firma Game Factory aus der Schweiz nichts Besseres tun, als BONK, das Nachfolgerspiel des finnischen Verlages Competo / Marektoy, zu übernehmen. Die Finnen haben dabei, wie schon beim KLASK-Erfinder Mikkel Bertelsen, auf eine vorhandene Idee zurückgegriffen. ROLLET, der Vorläufer von BONK, ist ähnlich wie KLASK 2014 erfunden worden. Bisher war aber nur eine reine Holzfassung auf dem Markt, die der Spieleautor David Harvey mit seiner Firma Et Games Limited im Süden Englands vertreibt. Harveys erstes veröffentlichtes Spiel war PUCKET, ein Schnippspiel mit Gummiband, das er 2009 herausbrachte. Dann folgte das an CAMINOS angelegte BRIDGET und schließlich das als Eigenentwicklung gehandelte ROLLET-Spiel.
Harvey verweist auf seiner Verlagsseite darauf, dass es gewisse Anlehnungen an das alte MB-Spiele CROSSFIRE gebe, aber ROLLET sei ein „ganz neues Ballspiel“. Nun ja, seine Recherchen haben den britischen Autor möglicherweise nicht bis Deutschland geführt. Die Firma Adis-Spiele aus Tübingen hat schon im Jahr 2000 mit POWERBALL ein durchaus vergleichbares Spiel auf den Markt gebracht. Es besitzt jeweils zwei bis drei Rampen und nur eine kleine Toröffnung, die nicht schachtähnlich angelegt ist. Das grundsätzliche Spielprinzip ist aber identisch: Mit Stahlkugeln wird eine Holzkugel angetrieben bzw. vertrieben. Bei ebay kann man es zur Zeit für 20 Euro in den Kleinanzeigen in Hannover Linden kaufen.
ROLLET wird in Handarbeit ganz aus Holz in Nordindien hergestellt und kostet ca. 75 Euro. Die BONK-Fassung, die Game Factory seit wenigen Wochen vertreibt, ist etwas preiswerter, enthält aber Plastikmaterial. So sind die Kugelrampen und teilweise die Banden aus Plastik, was der Qualität des Spiels aber durchaus nutzt. Mit KLASK gab es anfangs nämlich erhebliche Materialprobleme bei der Holzproduktion, bei BONK stimmt im Augenblick alles.
Genug der langen Vorrede, zum Spiel: Wie oben schon erwähnt, wird mit Stahlkugeln auf eine Holzkugel geschossen. In einer Holzarena stehen in den Ecken vier drehbare Rampen, über die jeweils drei Stahlkugeln ins Spiel gebracht werden. Mit den Kugeln versuchen die Spieler, die Holzkugel zu treffen, die in der Mitte der Arena liegt. Von dort aus geht es wie bei einer Wasserscheide links und rechts leicht abschüssig auf die beiden Tore zu. Das sind mittige Trichter, auf die schräg angebrachte Banden zuführen. Wer den Holzball trifft, versetzt ihm den nötigen Effet, ins gegnerische Feld zu rollen, sodass dort Abwehrreaktionen in Gang kommen müssen. Daraus ergibt sich ein immer wieder spannendes Hin und Her, ein hektisches Spiel, das umso aufreibender wird, je besser die Partner aufeinander eingestimmt sind.
Da möchte man manche Ballwechsel am liebsten in Zeitlupe aufnehmen, um sich nachträglich Beifall zu klatschen. Schon beim Start, nach einem High Five aller vier Spieler, haben es gewiefte Stürmer raus, wie mit einem Billard Queue die eigene Rampe so einzustellen, dass die Holzkugel angeschnitten getroffen wird, damit sie exakt auf die gegnerische Torschlucht zurollt. Seitliche Querschüsse helfen da wenig bei der Verteidigung. Wer aber den Dreh raushat, über die Dreieckspitze am Tor aus dem eigenen Torkanal heraus zu antworten, kann sogar solche Bälle abfangen und direkt zum Gegenangriff übergehen. Wenn das gelingt, dann kommt Hochstimmung auf, wie insgesamt in den kurzweiligen Spielrunden. Das ist Emotion pur mit viel Schweiß auf der Stirn.
In Vollbesetzung ist BONK klasse, vor allem dann, wenn die Verteidigung funktioniert und zum besten Stürmer wird. Das erinnert dann schon an Tischfußball, bei dem die beiden Verteidiger die besten Angreifer sind. Zu zweit schlägt KLASK allerdings das Nachfolgerspiel ganz klar. BONK muss zu viert gespielt werden, im Duell ist es ein mühsames Unterfangen, das nicht wirklich Spaß macht.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: BONK
Autor: David Harvey
Verlag: Game Factory
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl:(2) - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 10 Min.
Preis: ca. 65 Euro
Spiel 70/2017
Freitag, 10. November 2017
27
Steffen-Spiele blickt 2018 immerhin schon auf eine 15jährige Verlagsgeschichte zurück. Macher und vielfacher Autor ist der 61jährige Steffen Mühlhäuser, der seit 1996 Spiele erfindet. Neben Gerhards Spiel und Design aus Ransbach Baumbach nutzt Steffen Spiele aus Krastel die Nische, mit klarem Design und hochwertiger Gestaltung kleine, aber feine Spielideen anzubieten. Einst gab es in diesen abgelegenen Hunsrück- und Westerwald-Örtchen in Rheinland-Pfalz noch die Holzinsel, die mit Spielen wie KARDINAL und HEKLA Erfolg hatte. Mit dem viel zu frühen Tod des Verlagsinhabers Klaus Grunau folgte aber vor gut zehn Jahren die Schließung. Die Arbeit aller drei Verlage wurde zum Teil mehrfach von der Jury „Spiel des Jahres“ gewürdigt. KARDINAL landete 2000 auf der damaligen „Auswahlliste“, MIXTOUR von Gerhards kam 2012 auf die „Empfehlungsliste“, so auch KULAMI 2011 von Steffen Spiele und zwei Jahre vorher SCHWARZER KATER, das auf der Liste der Kinderjury landete.
Mit dem ZAUBERTRANK DER VIER ELEMENTE hatte Steffen Mühlhäuser 2016 ein für seine Verhältnisse richtig großes und teures Spiel im Programm. In diesem Jahr sind es gleich vier Spielideen, die aber in kleinen Schachteln sehr preiswert zu bekommen sind. POK, NONAGA, WÜRFELBLITZ und 27 sind vier kurzweilige Spiele, „Langeweilevertreiber“, wie Mühlhäuser sie nennt.
Ich bin von fast allen Ideen sehr angetan. Im Augenblick duelliere ich mich aber am häufigsten mit 27 Holzscheiben. Laurent Escoffier, der durch LOONY QUEST bekannt wurde, schafft mit simplen Zugregeln ein vertracktes Spiel mit Stapeltürmen, das er nach der Anzahl der Spielsteine 27 nennt.
Im Grundspiel stellen zwei rote und sieben graue Holzscheiben die Spiellandschaft dar. Das ist der Weg, auf dem sich zwei Kontrahenten bewegen, mit dem Ziel, den höchsten Turm auf dem roten Stein der gegenüberliegenden Seite zu bauen. Beide starten mit einem Turm aus neun Holzscheiben auf den Endpunkten der Strecke. Die simple Zugregel Escoffiers lautet: Die Zugweite entspricht der Anzahl der eigenen Türme. Die wenigen Ergänzungen beziehen sich auf die Zugrichtung, es darf nur vorwärts gehen, und auf die Möglichkeit der Aufteilung der Türme.
Vom Spielgefühl her erinnert 27 an FOCUS von Sid Sackson, das 1981 das dritte „Spiel des Jahres“ war. Die Optionen ergeben sich in diesem Klassiker aus der Zugweite, die der Turmhöhe entspricht. Bei Escoffier zeigen sich viele Kombinationsmöglichkeiten, aber obendrein Zwänge durch die beliebige Zerlegung der Türme. Wie bei Sid Sackson können gegnerische Steine gefangen werden, daher bringt es nichts, mit einem Turm durchzuwandern, da der unterwegs abgefangen wird. Aufteilung ist daher notwendig, um die Zugweite zu erhöhen und Drohpotentiale aufzubauen. Allerdings sollten es nicht zu viele eigene Türme werden, da zu große Sprünge über das Ziel hinausschießen.
Ständig müssen die beiden Turmbauer reagieren, neue Strategien entwickeln, da sich die Gegner auf dem kurzen Weg über sieben Felder dauernd in die Quere kommen. Nur die Regeln sind einfach, die sich daraus ergebenen Überlegungen zeigen Spieltiefe. Ein abstraktes Spiel mit hohem Wiederspielreiz, bei dem Varianten noch mehr Gehirnschmalz verlangen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: 27
Autor: Laurent Escoffier
Verlag: Steffen Spiele
Alter: ab 9 Jahren
Spielerzahl: 2 Spieler
Spielzeit: ca. 10 - 20 Min.
Preis: ca. 12 Euro
Spiel 69/2017
Freitag, 3. November 2017
AZUL
Der in Achim in der Nähe von Bremen lebende Autor Michael Kiesling musste Sechzig werden, um sich 2017 als erfolgreichster Autor von der Essener Spielemesse zu verabschieden. Seine Karriere währt schon über zwanzig Jahre. Die Wenigsten wissen, dass er einst in Essen mit einem Kleinverlag startete, wobei seine drei Spiele im 1x1 Verlag nicht wirklich für ZÜNDSTOFF sorgten. Danach war er über lange Zeit Partner Wolfgang Kramers. Mit TIKAL und TORRES landeten die beiden gleich einen Doppelerfolg beim „Spiel des Jahres“ 1999 und 2000. Vor zehn Jahren zeigten sich erstmals seine Solostärken wieder, da nahm er den späteren Trend der WIKINGER-Spiele überzeugend vorweg.
Ganz aktuell ist sein taktisches Legespiel AZUL das beliebteste Spiel der Messe, zumindest wenn man GeekBuzz-Wertung von BGG und die Fairplay-Liste zugrunde legt. Beim GeekBuzz landete AZUL auf dem ersten Platz, die Stimmberechtigen der Fairplay wählten es immerhin noch aufs Podium, dort erreicht das Spiel den dritten Platz. Dabei blieb es aber nicht, mit HEAVEN & ALE (eggertspiele) verzeichnete er mit seinem Bremer Koautor Andreas Schmidt noch einen weiteren Platz in der Top-Ten-Wertung der Fairplay. Außerdem war er mit seinem gewohnten Partner Kramer mit REWORLD (eggertspiele) im Weltraum unterwegs. Schließlich schippern wieder einmal Schiffe auf dem Mississippi. Sein RIVERBOAT (Lookout Spiele) ist ein landwirtschaftliches Logistikspiel, das ausschließlich aus seiner Feder stammt.
Zurück zu AZUL. An Kieslings Idee lässt sich trefflich die aktuelle Marktentwicklung ablesen. Die kanadische Firma Plan B Games, die bisher nur durch den ersten Teil der CENTURY-Trilogie im Vertrieb von Abacus auf dem deutschen Markt auffiel, sorgte Anfang Juli für Schlagzeilen. Der Verlag um Sophie Gravel übernahm eggertspiele und erhielt damit Zugriff auf viele herausragende Kenner- und Expertenspiele. Peter Eggert kündigte damals an, noch drei Jahre aktiv an Entwicklung und Herausgabe von Spieleneuheiten mitwirken zu wollen. Das Kerngeschäft mit den anspruchsvollen Spielen wird den Hamburgern erhalten bleiben, die einfacheren Familienspiele scheint Plan B übernehmen zu wollen. Denn redaktionell ist AZUL von den eggertspiele-Redakteuren Viktor Kobilke und Philippe Schmit betreut worden und wäre sonst mit Fuchs-Logo herausgekommen. Vertriebstechnisch schwenken die Kanadier nun auch um und schließen sich Pegasus an, für eggertspiele bleibt damit alles wie gehabt.
Für den Start des in Deutschland noch unbekannten Verlags konnte nichts Besseres passieren. AZUL wird das Ast-Logo mit dem angelehnten „B“ von Garmisch bis Flensburg bekannt machen. Warum der Erfolg? Kiesling gelingt mit AZUL das, was 2016 Bruno Cathala mit KINGDOMINO erreichte. Beide Legespiele sind in wenigen Minuten erklärt, die Spiele selbst entwickeln dann genügend Spieltiefe, dass der Spannungsbogen für die notwendige halbe Stunde ausreicht. Auch optisch wissen beide Spiele zu gefallen, wobei AZUL im haptischen Bereich das „Spiel des Jahres“ 2017 klar schlägt.
Und die Haptik ergibt sich aus den 100 Azulejo, quadratische Fliesen, die im spanischen oder portugiesischen Umfeld aus Keramik sind und im Spiel kongenial in Kunstharz umgesetzt wurden. Etymologisch hat der Begriff nichts mit dem portugiesischem „azul“ für blau zu tun, sondern ist ein Überbleibsel des maurischen Einflusses, stammt damit aus dem Arabischen und steht für Fayence.
Die 100 Fliesen gibt es in fünf verschiedenen Gestaltungen, wobei zur Abgrenzung deutlichere Kontraste gewählt wurden als beispielsweise auf der Spielregel, deren Kachelwerk ganz in Blau gehalten bleibt. Zwei bis vier Spieler dürfen sich als Fliesenleger fühlen und eine 5x5-Felder große Wand nach Vorgabe oder recht frei gestalten. Jeder erhält dafür eine Palastwand, die sein Spiels steuert und seine Punkte bilanziert. Kacheln in der obersten Reihe brauchen dabei nur einen Musterstein, darunter wird es stets eine Kachel mehr, sodass in der fünften Reihe fünf Kacheln einer Sorte nötig sind, um ein Feld zu belegen. Jede Kachel an der Wand bringt einen Siegpunkt und Zusatzpunkte für orthogonal angrenzende Reihen, ein fünfter Stein in Reihe oder Spalte bringt daher immer fünf Siegpunkte.
Der besondere Reiz ergibt sich aus dem Erwerb der Steine. Je nach Spielerzahl fabrizieren fünf bis neun Keramik-Manufakturen Angebote und zwar stets vier zufällig gezogene Fliesen. Wer sich bei einer Manufaktur bedient, muss alle Steine einer Sorte nehmen und die in eine Musterreihe seiner Auslage legen. Alle restlichen Steine kommen in ein zentrales Angebot, aus dem sich die Spieler analog der Manufakturregel bedienen.
Abhängig vom Angebot muss daher die Füllung der Musterreihen gut überlegt sein. Dabei bleibt die Wertung im Blick, damit man möglichst nicht Kacheln isoliert anbringen muss. Andererseits müssen die Fliesenleger im Laufe des Spiels aufpassen, da die Aufnahme aus dem zentralem Angebot nicht immer mit den freien Plätzen der Musterreihen korreliert. Nicht unterzubringende Kacheln verhageln die Bilanz und bringen Minuspunkte.
Das Spielende tritt recht schnell ein. Frühestens nach fünf Runden, wenn ein Spieler eine horizontale Linie durchgängig mit Fliesen kacheln konnte. Wer auf mehr Punkte aus ist, achtet aber eher auf Vollendungen der Spalten, denn diese bringen neben der normalen Bepunktung sieben Zusatzpunkte gegenüber zwei Punkten in der Reihe. Wer es schafft, alle fünf Kacheln einer Sorte zu setzen, der bekommt sogar zehn Punkte zusätzlich.
Optisch ein Traum, haptisch ein Vergnügen und vom Spielablauf durchgehend spannend: AZUL hat alles, was ein herausragendes Familienspiel ausmacht!
Wertung: Jederzeit wieder
Titel: AZUL
Autor: Michael Kiesling
Verlag: Plan B Games
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 30 Min.
Preis: ca. 40 Euro
Spiel 68/2017
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