Montag, 6. Dezember 2021
WORM UP!
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Ein „Luxusgut“
Dunkler Trenchcoat, beiger Hut, eine Zeitung wie ein Taktstock in beiden Händen blickt ein distinguiert lächelnder älterer Herr vor venezianischen Hintergrund. Es ist schon eine Rarität, dass ein Spieleautor auf dem Spielecover zu sehen ist. Die Verbeugung gilt in diesem Fall dem vor fünf Jahren verstorbenen Alex Randolph, der auf ein Wurmgewimmel blickt, das er leider nur in einer Plastikfassung erleben durfte. Abacus widmet WORM UP!, die Wiederauflage von Würmeln (Blatz 1994), dem „Urtypus des Spieleerfinders“.
Da haben wir nicht nur den Urtypus eines Autors, auch die Spielmechanik von WORM UP! hat archetypischer Elemente, die prägend für die Folgezeit waren. Einmal ist da der Verzicht auf ein Spielbrett, die freie Bewegung im Raum. WORM UP! ist ein Wettlauf von Würmern, die aus sieben Holzsegmenten zusammengesetzt sind, die sich schlängelnd fortbewegen, zielgerichtet auf ein vorgegebenes Einlaufband hin, aber auch störend, in die Bewegungsbahnen der anderen hineinkriechend, um diese zu Umwegen zu zwingen. Das zweite typische Randolph-Element würden wir heute als HOLS DER GEIER-Effekt beschreiben. Gemeint ist, dass verdeckte Legen von Zahlenkärtchen, das effektlos bleibt, wenn mehrere Spieler identische Karten legen. In WÜRMELN hat das Randolph noch durch Einstellen eines sechsseitigen Spezialwürfels umgesetzt, nun sind es fünf kleine Pappkärtchen, die Bewegungsweiten von vier bis sieben Wurmsegmenten möglich machen. Das übliche psychologische Spielchen, bei dem ich denke, dass die anderen denken, dass ich Plättchen x nehmen werde, macht den besonderen Reiz des Spiels aus. Das in die Quere kommen, auch die Möglichkeit den Zielbereich zu verändern, sind zusätzliche Aspekte, die zeigen, dass 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung diese Idee von Randolph nichts von ihrem Reiz eingebüßt hat. Nichts großes, aber trotzdem immer noch ein unterhaltsames Spiel und eine schöne Reminiszenz an den Altmeister aus Venedig.
Dass dieses kleine Spiel eine Hommage an Randolph ist, wird nicht nur durch das Bild auf dem Cover deutlich, auf der Innenseite der Schachtel finden wir ein bekanntes Randolph-Zitat wieder, das symptomatisch für seine Auffassung vom Kulturgut Spiel ist: „Ich glaube, dass dies der Keim alles wahrhaft Menschlichen ist, und damit auch der Keim der höchsten menschlichen Bestrebungen, vor allem jener, die ich zu den wertvollsten zähle, weil sie keinen Zweck außer sich selbst haben. Sie sind selbst ihr Zweck: Poesie, Kunst, Musik, das Erzählen von Geschichten, reine Mathematik, reine Wissenschaft, Philosophie - alles Luxusgüter des Geistes. Luxus ist etwas, das uns entzückt, das wir besitzen möchten, aber worauf wir auch sehr gut verzichten können. Ohne praktischen Wert auch nicht notwendig zum Überleben. Und Brettspiele? Auch Brettspiele sind Luxusgüter, natürlich eher unbedeutend und nebensächlich, aber im Sinne ihrer Nicht-Nützlichkeit vielleicht die reinsten.“
Haben sie ihre Freude an diesem Luxusgut, lassen Sie die Würmer los!
Titel: WORM UP!
Verlag: Abacus
Autor: Alex Randolph
Graphik: Gabriela Silveira
Spieleranzahl: 3-5
Alter: ab 7 Jahren
Dauer: 15 Min.
Preis: ca. 12 Euro
Spiel 5/2009 R 216/2021 Rezension erschien 2009 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Alex Randolph war der Kosmopolit unter den Spieleautoren. 1922 in Böhmen geboren. Seine Mutter stammte aus Colorado, sein Vater war Russe. Schon als Kind lebte er mehrere Jahre in Venedig, bevor er als Zehnjähriger in ein Schweizer Internat geschickt wurde. Ein Jahr vor dem Zweiten Weltkrieg ging die Familie zurück in die USA. Während des Krieges arbeitete er am Entschlüsseln feindlicher Codes.
Nach dem Krieg lebte er als Werbetexter und Romancier in Boston, bevor er 1961 mit Pentomino-Steinen sein erstes Spiel veröffentlichte. Randolph siedelte dann nach Wien um, spielte dort im Café Hawelka TWIXT mit Herbert Feuerstein, das bald als 3M-Spiel in einer edlen Buchschuberausgabe erschien und ihm einen mehrjährigen Aufenthalt in Japan finanzierte. Mitte der 70er Jahre fand der Spieleautor nach Venedig zurück, wo er 2004 starb.
Anfangs entwickelte er, inspiriert durch die Japanreise, hauptsächlich taktische Spiele für zwei, wie EVADE, BUFFALO und GEISTER. In den 80er Jahren erfand er erfolgreich viele Familienspiele wie SAGALAND, „Spiel des Jahres“ 1981, das er zusammen mit seinem engen Freund Michael Matschoss entwickelte, der sich inzwischen um sein spielerisches Erbe kümmert. Es blieb zwar sein einziges „Spiel des Jahres“, für GUTE FREUNDE (1989) gewann er den ersten Sonderpreis „Kinderspiel“, was er mit LEINEN LOS! 1997 noch einmal wiederholte. INKOGNITO (1988) und VENICE CONNECTION (1996) bescherten ihm den Sonderpreis „Schönes Spiel“.
WÜRMELN erschien nach der Blatz-Ausgabe noch mehrmals in Deutschland. 1996 kam eine Fassung mit kleinen Kamelen und Karawanen-Schlangen als KAMELTREIBER bei MB heraus. Mit schönen Holzteilen setzte Abacus Randolphs Idee 2008 als WORM UP! noch einmal um.
In den 90er Jahren arbeitete Randolph eng mit Johann Rüttinger zusammen. Posthum veröffentlichten Rüttinger und Kathi Kappler 2012 das lesenswerte Buch Randolphs „Die Sonnenseite. Fragmente aus dem Leben eines Spieleerfinders“.
In seinem 68. Lebensjahr wird der Philosoph unter den Spieleautoren mit dem Göttinger SPATZ ausgezeichnet, außerdem erhält er 1992 einen Sonderpreis für sein Lebenswerk beim Deutschen Spielepreis. Randolph gilt neben Sid Sackson als einer der ersten Spieleautoren, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Er hat schon in den 70er Jahren dafür gesorgt, dass Autorennamen auf den Schachteln auftauchten. Das Bild zeigt Randolph während der Preisverleihung mit dem Göttinger SPATZ 1990.
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