Sonntag, 16. Februar 2020
ABUSIR
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Geschichte live: ABUSIR
Marion und Andreas Dettelbach waren schon immer für Überraschungen gut, ihre handgearbeiteten, liebevoll gezeichneten Spiele zeichnete eigentlich meistens eine große Originalität aus, am überzeugendsten für mich bisher in SCHWIMMER IN DER WÜSTE umgesetzt. ABUSIR, ihre neueste Spielentwicklung, stellt alles Bisherige in den Schatten. Den Stuttgartern gelingt mit diesem Pyramidenbauspiel eine historische Authentizität, die außergewöhnlich ist.
Die Dettelbachs mischen Geschicklichkeitselemente in ihr taktisches Familienspiel. Eigentlich nichts Neues im Ägyptengenre, wenn wir an CAIRO denken, nur waren dort die Schnippsereien beim Pyramidenbau völlig an den Haaren herbeigezogen. Das sieht bei ABUSIR ganz anders aus.
Einen riesigen Spielplan (84x60 cm) haben die drei bis fünf Pyramidenbauer vor sich, die Nekropole von ABUSIR, südlich von Kairo gelegen, mit direktem Nilzugang. Der war auch wichtig, da über den Fluss die wichtigsten Rohstoffe angeliefert wurden: Kalkstein aus den Steinbrüchen von Maasara und Tura, Rosengranit aus Assuan, notwendiges Material für den Bau der Pyramiden der 5. Dynastie.
Jungfräulich liegt das Tal vor uns, aber Grabmäler werden zu Lebzeiten der Herrscher erbaut und die wollen Fortschritte sehen, möglichst bevor sie das Zeitliche segnen. Gleich an sieben Stufenpyramiden dürfen die Spieler werkeln. Dafür besitzt ABUSIR eine opulente Ausstattung. 93 zum Teil mehrteilige Baukörper in drei Farben, die in der Realität 2,5 Tonnen wogen. Solche Massen wollten bewegt sein. Die geniale Erfindung dafür war ein Steinschlitten, der gezogen wurde. Eine Zugvorrichtung und eben diese Steinschlitten liegen diesem Spiel bei. Jeder Spieler erhält neben einem Boot zum Anfahren der Steinquader einen solchen Steinschlitten. Außerdem werden den Spielern noch drei Arbeiter zugeteilt, die wir uns in der Realität eher vertausendfacht vorstellen müssen, eine so genannte Aktions-Pyramide und Punktemarker.
Zu Spielbeginn platzieren die Spieler ihre Boote an Landeplätzen am Nil, dorthin wird auch der Steinschlitten gestellt. Stets sind alle Boote im Spiel, auch wenn weniger Spieler beteiligt sind, zusätzlich gibt es noch ein neutrales Boot. Fünf beliebige Bausteine werden aus einem vorher festgelegten Steinvorrat auf alle Boote geladen. Zusätzlich dürfen die Spieler ihren Schlitten schon einmal mit einem Pyramidenbaustein beladen, ob dies ein einfacher, ein doppelter oder gar ein dreifacher ist, spielt keine Rolle.
Im Spielverlauf dürfen die Spieler zwei Aktionen in beliebiger Reihenfolge durchführen. So dürfen sie ihre Steinschlitten beladen, dabei müssen sie nur beachten, dass der Schlitten genau am Landeplatz zu stehen hat und dass vom eigenen Boot drei und von fremden Booten zwei Steine abtransportiert werden dürfen. Für den Steinnachschub wird immer dann gesorgt, wenn zwei Boote keine Steine mehr geladen haben. Die zu beachtende maximale Ladekapazität eines Schlittens beträgt fünf Steine. Dann wird er bewegt, auch das gehört zu der Aktion dazu. Das Ziehen der Schlitten ist die besonders innovative Entwicklungsleistung nicht nur der Ägypter, sondern spieltechnisch gesehen auch der Dettelbachs. Verblüffend ist, dass genau zeitgleich bei Haba mit POLLY POTTWAL ein ähnlicher Zugmechanismus auftaucht. Ein Metallring wird über den Schlittenführer gelegt, an diesem Ring ist ein Zugseil, das mit einer Zugplatte verbunden ist. Diese wird an eine beliebige Kante des Spielfeldrandes gestellt und damit wird die Zugrichtung für den Schlitten vorgegeben. Der Steintransporter kann beliebig weit gezogen werden, einmal darf dabei der Zugpunkt durch Versetzen der Zugplatte verändert werden. Einmal in Gang gesetzt, preschen die Schlitten relativ rigoros durch die Landschaft, fremde Schlitten drängen sie beiseite, Arbeiter springen aus dem Weg. Allerdings endet die Zugaktion, wenn der Schlitten an Steine gebauter Pyramiden stößt, mit dem Zugseile Steine verschoben werden, Steine beim Rempeln ins Poltern kommen oder das fremde Schlitten in den Fluss oder über den Spielfeldrand abgedrängt werden.
Eine zweite Aktionsmöglichkeit besteht in der Bewegung der Arbeiter, die maximal zwei Wege weit zwischen den Pyramiden verrückt werden dürfen. Die dritte Aktion bezieht sich dann auf den Pyramidenbau. Gebaut werden darf dann, wenn ein Steinschlitten an einem der sieben Bauplätze steht und mindestens ein eigener Arbeiter dort ist. Dieser darf drei Steine unterschiedlicher Größe nach fest gelegten Bauregeln verbauen. So muss stets angebaut werden, die Form der Stufenpyramide mit einer Basis von 16 Steinquadern in der ersten Ebene, vier in der zweiten und einem Abschlussstein in der dritten muss gewahrt bleiben. Pyramidenbau bringt Punkte. Jeder verbaute Stein wird als positiver Beitrag auf einer Bautafel vermerkt, auch hier ist die Größe der Steine gleichgültig, ein Quader bringt ein Wertungsfeld, genauso wie eine Dreierkombination. Da die Spieler nur fünf Markierungssteine besitzen, müssen sie sich auf fünf Baubeteiligungen beschränken.
Ein Sonderzug, die Wiederholung einer beliebigen Aktion, ist gegen Abgabe der Aktions-Pyramide möglich. Diese erhalten die Spieler zurück, wenn sie bei einem späteren Zug auf eine Aktion verzichten. Im Laufe des Spieles kommt es bei Fertigstellung eines Bauwerkes zu Wertungen. Der Spieler, der am meisten beigetragen hat, erhält sechs Punkte, der zweite vier und der dritte immerhin noch zwei Punkte. Derjenige, der den Schlussstein gesetzt hat, erhält noch einen Punkt. Stimmte die Kooperation der Baugesellschaften, dann haben sie es vielleicht geschafft, alle Außensteine einfarbig zu platzieren. Ist das der Fall, erhält jeder drei Zusatzpunkte.
Das Spiel endet entweder, wenn fünf Pyramiden erbaut sind, ein Boot nicht mehr vollständig beladen werden kann oder wenn klar ist, dass mit den Reststeinen ein korrekter Pyramidenbau nicht mehr möglich ist. Auch die nicht fertiggestellten Pyramiden werden nun gewertet, allerdings mit halbierter Punktzahl und ohne Farbbonus. Der große Baumeister von ABUSIR
ist natürlich der Punktbeste, der nach 120 spannenden, vergnüglichen und wie im Fluge vergehenden Minuten feststeht.
ABUSIR ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Spiel. Einerseits ist es ein hochkarätiges taktisches Bauspiel, das durch die Beschränkung auf fünf Baubeteiligungen besonderen Pfiff erhält. Da man nicht bei allen Pyramiden beteiligt ist, sollte man bei den fünf Pyramiden natürlich gut abschneiden. Zusätzlich stehen die Spieler unter dem Druck, auf Fertigstellung zu drängen, weil sie dadurch die doppelte Punktzahl einfahren. Das bringt weitere Dynamik. Geschickt gelöst hat das Autorenpärchen auch die Bausteinregelung, die unterschiedlichen Formen und Größen gilt es im Blick zu haben, sie sind in den Abschlussphasen der Pyramidenerstellung bauhinderlich oder -fördernd. Ein Blick auf die Ladungen der Mitspieler ist immer vonnöten. Und zu allem kommt die Bewegung der Schlitten hinzu, denn die wollen richtig gelenkt werden. Ein gutes Auge ist notwendig bei der richtigen Platzierung der Zugvorrichtung. Das Abdrängen und Blockieren gegnerischer Schlitten ist nicht nur Geschicklichkeit, sondern gehört auch ins taktische Programm des Spiels. Die in Heimarbeit der Dettelbachs erfolgte Ausstattung von ABUSIR ist vorzüglich, die Korkschlitten und –Boote funktionieren gut. Auch das Regelwerk ist gut gegliedert, anschaulich bebildert und durch eine Kurzspielregel fast professionell zu nennen. Spielen sollten Sie am besten zu dritt oder zu viert, da es in voller Besetzung doch etwas dauert bis man wieder an der Reihe ist. Als kleiner Wermutstropfen bleibt eigentlich nur der hohe Preis (49 €). Dafür erhalten Sie aber auch nicht das sonst Übliche, sondern ein originelles, individuelles Sammlerobjekt, das Sie zu den besonderen Perlen Ihrer Spielesammlung zählen können.
Titel: ABUSIR
Autor: Andreas und Marion Dettelbach
Grafik/Design: Andreas Dettelbach
Verlag: Spielteufel GmbH
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 3 - 5
Spielzeit: 90 Minuten
Preis: ca. 49 Euro
Die Rezension erschien 2005 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 9 von 10 Sternen,
das entspricht: Jederzeit wieder
Spiel 1/2005 R 2/2020
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