Donnerstag, 18. Juni 2015
BRETONISCHER STOLZ
Am Ende ist die ganze Welt bretonisch
… sogar Kommissar Dupins Wurzeln stammen nicht vom französischen Juragebirge, sondern aus der Bretagne. Jörg Bong, Programmleiter des S. Fischer Verlags, der sehr wahrscheinlich hinter dem Pseudonym Bannalec und der erfolgreichen Dupin-Reihe steckt, schreibt sich so richtig gut ein. Seine Liebeserklärungen an die Bretagne und an die dortige Küche steigern sich von Roman zu Roman. Der „Bretonische Stolz“, Dupins „aberwitzigster Fall“, gerät zum Kompaktesten der vier Kriminalromane.
Im Zentrum steht ein verschwundener Toter in Port Belon, dort wo die „Bélon“, die legendäre europäische Auster gezüchtet wird, die für ihr subtiles und leicht nussiges Aroma berühmt ist. Bong/Bannalec beliefert den Leser mit allem notwendigen Wissen über die Austernzucht und ihre Bedrohung durch Epidemien. So richtig ernst nimmt anfangs niemand die Geschichte mit dem Toten, hat doch eine wohl leicht demente, ehemals berühmte Schauspielerin die angebliche Leiche entdeckt. Dupin, nach fünf bretonischen Jahren zum „Leitenden Hauptkommissar“ in Concarneau ernannt, kommt der verschwundene Tote aber ganz recht, hält er ihn doch von einer aufgezwungenen Fortbildung zur „systematisch-systemischen Gesprächsführung“ ab.
Er hat seine eigene Form der Gesprächsführung, traut seinem Gefühl und kann gut zuhören. Er glaubt der Filmdiva. Bald dar er sich bestätigt fühlen, als eine echte Leiche in den klüftigen Hügeln des Monts d’Arrée auftaucht. Schnell wird klar, der verschwundene Tote ist der Mörder vom Roc’h Trévézel. Aber wer hat ihn umgebracht? Die Spuren führen zu sandraubenden Bauunternehmern, in mythische keltische Kreise zu Druiden und Dudelsackbläsern, zu den keltischen Verwandten in Schottland, auch das Austerngeschäft läuft nicht immer ganz koscher ab.
Dem Autor gelingen eine spannende Hinführung zum Fall, Verwicklungen, die sich erst allmählich aufdröseln und immer wieder die sympathische Zeichnung von Landschaften, Personen und Beziehungen. Sogar eine Beerdigung dient der Huldigung der bretonischen Küche mit der berühmten Pot-au-feu auf Speckbasis mit Buchweizenklößen. Der „Bretonische Stolz“ lässt die aktuellen Werke von Leon und Walker weit hinter sich. Viel besser kann dieser Autor eigentlich nicht werden!
Wertung: *****
Titel: Bretonischer Stolz
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Autor: Jean-Luc Bannalec
Seiten: 377 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Montag, 15. Juni 2015
WETTERLEUCHTEN IM ROUSSILLON
Vergangenheitsbewältigung
Der Mord an einem ehemaligen OAS-Angehörigen wird als Auftakt aus der Täterperspektive samt allen damit verbundenen arthritischen Schmerzen geschildert. Der Fall liegt in den Händen von Inspecteur Gilles Sebag, der sehr lustlos, aus einer Woche Sommerferien kommend, seinen Dienst angetreten hat.
Eigentlich hat ihn seine Tochter beauftragt, dem tödlichen Verkehrsunfall eines Freundes nachzuspüren, aber erst einmal geht der Mord vor. Klar ist, der Familienfrieden ist bedroht, auch seiner Frau ist er sich nicht mehr sicher. Unklar bleibt vorerst der Fall selbst.
Philippe Georget, 52 Jahre, lebt in der Nähe von Perpignan. Er kennt die südwestliche Ecke Frankreichs mit ihrer katalanischen Zwitterstellung wie seine Westentasche. Der Fall, in dem er aktuell Sebag ermitteln lässt, reicht weit in die Geschichte und über die Ländergrenzen hinweg.
Georget wechselt nicht nur die Perspektive zwischen Täter und ermittelndem Kommissar. In Rückblenden erzählt er von den Gräueltaten eines OAS-Kommandos zu Beginn der 60er Jahre in Algerien. Aus der historischen Einbettung gewinnt die Geschichte an Wert. Zumal der Autor die Vergangenheit stets auch mit der Gegenwartsbrille betrachtet, was bei den Ermittlungen eine Rolle spielt.
Im eigentlichen Fall überwiegt mir zu sehr das Bauchgefühl Sebag. Etwas mehr Täterdistanz wäre vielleicht auch hilfreich. Da schwingt sonst zu viel Empathie und Sympathie mit, wo doch vier Opfer auf der Strecke bleiben, das eingangs erwähnte Unfallopfer eingeschlossen, und in der historischen Dimension sicher Hunderte. Das lässt sich auch kritischer betrachten.
Wertung: ****
Titel: Wetterleuchten im Roussillon
Verlag: Ullstein
Autor: Philippe Georget
Seiten: 475 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Donnerstag, 11. Juni 2015
DER FALL BRAMARD
Ein außergewöhnlicher Kriminalfall – ein außergewöhnliches Buch
Einst war Corso Bramard der jüngste Kriminalkommissar Italiens, jetzt, zwanzig Jahre später, unterrichtet er acht Stunden Geschichte an einer Schule in Piemont. Dazwischen liegt die Jagd nach einem Serienmörder, der seine Opfer, junge Frauen, mit floralen Schnittmustern schmückte. Das erste Opfer überlebte, das letzte war Bramards Frau, zeitgleich verschwand seine Tochter.
Bramard verfällt dem Alkohol, seine Ausflüge in die piemontesische Bergwelt tragen suizidalen Charakter. Der Frau, die er liebt, eine in der Dorfbar arbeitende Rumänin, überbringt er die Heiratswünsche eines anderen. Am Leben halten ihn wohl nur noch regelmäßige Nachrichten des Täters, Briefe mit Zitaten aus „Story of Isaac“, einem Song Leonard Cohens. Mit dem 13. Brief schließt sich der Kreis, der Song endet und diesmal hinterlässt der Mörder eine Spur. Ein Haar, das direkt zum ersten Opfer führt.
Bramard nimmt mit Unterstützung eines alten Kollegen die Ermittlungen wieder auf. Hilfe erhält er von Isa, einer jungen Ermittlerin, die ähnlich kauzig wirkt wie er. Beide tasten sich durch penible Polizeiarbeit zurück in die Zeit vor zwanzig Jahren, stoßen auf Aspekte, die Bramard damals unbekannt blieben, auf die Vorliebe alter reicher Männer für junge Mädchen und auf japanophile Kreise.
In einer Parallelhandlung wickelt ein Jean-Claude Monticelli einen Aufgabenzettel ab, in Rumänien, der Schweiz und in Italien. Lange bleiben die Zusammenhänge unklar, bis die Stränge am Ende zusammengeführt werden.
Davide Longo, der mit diesem Kriminalroman, Neuland betritt, ist ein ungewöhnlicher Autor. Sprachlich verdichtet er, lässt Vieles ungesagt. Einwortsätze, karg wie die Landschaft, prägen seinen Stil. Das Werk durchzieht eine Langsamkeit, eine Melancholie, die der Leser eigentlich durchbrechen möchte, wo der Leser Bramard anstoßen möchte, endlich aktiv zu werden. Aber alles hat seine Zeit, deshalb fliege ich in diesem Roman auch nicht über die Zeilen, wie in vielen üblichen Krimis, sondern verharre, lese noch einmal, behalte eindrucksvolle Bilder im Kopf. Longo beschreibt treffend dazu seine Leser: „Menschen, die gerne gehen, stundenlang eine Suppe köcheln lassen, nein sagen können und viele Kilometer zurücklegen, um einen Freund zu besuchen.“ Es ist ein Genuss, diesem Autor die ihm zustehende Zeit zu lassen. Unbedingt lesen!
Wertung: *****
Titel: Der Fall Bramard
Verlag: Suhrkamp
Autor: Davide Longo
Seiten: 318 Seiten
Preis: 19,95 Euro
Donnerstag, 4. Juni 2015
DIE VERLORENEN SCHWESTERN
Spiel mit dem klassischen Genre
Wenn die Einbettung nicht wäre, könnte es ein Krimi von Christie oder Poe sein. McKinty spielt in seinem neuesten Duffy-Roman gekonnt mit dem klassischen Krimi-Motiv des verschlossenen Raums.
Im Zentrum stehen aber die Nordirland-Probleme der 80er Jahre. Duffy, nach dem letzten Fall kalt gestellt, wird reaktiviert, da McCann, ein ehemaliger Schulfreund von ihm, als Drahtzieher eines Gefängnis-Ausbruchs von 38 IRA-Mitgliedern gilt. Der MI5 braucht Duffys Hilfe und der klappert McCanns Verwandtschaft ab. Er hilft dessen drogenabhängiger und zur Prostitution gezwungener Schwester, trotzdem kommt er seinem Schulfreund keinen Schritt näher.
Erst McCanns Ex-Schwiegermutter Fitzpatrick verspricht ihm einen Tipp. Dieser ist allerdings mit einer Bedingung verknüpft, Duffy soll den Tod ihrer Tochter Lizzie klären. Offiziell gilt der als Unfall. Ihre Leiche wurde vor vier Jahren in einem völlig verschlossenen Pub aufgefunden. Die scheinbar soliden Ermittlungen verweisen auf einen Sturz von der Theke, als Lizzie versucht hat, eine Glühbirne auszuwechseln. Lange tappt Duffy im Dunkeln, bis er schließlich den Täter stellt, ohne ihn gerichtsfest festzunageln. Mary Fitzpatrick reicht das trotzdem und sie hält ihr Versprechen, sodass die Rahmenhandlung ein angemessenes und überaus spannendes Ende findet.
Diese außergewöhnliche Mischung macht den dritten Band der Duffy-Reihe zum bisher Besten. Völlig zu Recht haben die Australier das Buch 2014 mit dem „Ned Kelly Award“ ausgezeichnet, genauso berechtigt ist es nun schon seit einigen Monaten auf der Krimi Bestenliste der ZEIT. Unbedingt lesen!
Wertung: *****
Titel: Die verlorenen Schwestern
Verlag: Suhrkamp
Autor: Adrian McKinty
Seiten: 378 Seiten
Preis: 15,50 Euro
(Seite 1 von 1, insgesamt 4 Einträge)