Dienstag, 31. Dezember 2019
HUMBOLDT'S GREAT VOYAGE
Was für die Italiener Marco Polo und Kolumbus war, ist den Deutschen Alexander von Humboldt, der als Forscher und Entdecker vor allem Südamerika bereiste und in seiner Zeit im 18. und 19. Jahrhundert so etwas wie ein früher Weltbürger war.
Zum 250. Geburtstag des Universalgenies gab es und gibt es 2019 und 2020 viele Ausstellungen und des Weiteren ein Spiel der beiden italienischen Autoren Remo Conzadori und Nestore Mangone. Sie widmen sich dem reisenden Forscher in der Phase von 1799 bis 1804, als Humboldt mit seinem französischen Kollegen Aimé Bonpland Mittel- und Südamerika bereiste und sogar Gast des amerikanischen Präsidenten in Washington war.
Die beiden Autoren besitzen ein Faible für historische Spiele. Gemeinsam haben sie sich 2015 schon einmal mit der EXPO 1906 beschäftigt, Mangone war mit anderem Partner außerdem an dem ausgezeichneten NEWTON beteiligt, das in diesem Jahr auf der Empfehlungsliste für das „Kennerspiel“ landete. Dass die beiden ihr Metier beherrschen, zeigt die Auswahl für ein klassisches Spielprinzip, das zum Motor ihrer Reiseidee wird. Sie greifen wie ein Stefan Feld bei TRAJAN oder ein Bruno Cathalla bei FIVE TRIBES auf das Schalenspiel MANCALA zurück.
15 Reisestationen Humboldts stellen in einer Wegeverknüpfung die Bohnenschalen dar. Da gibt es europäische Ausgangsstationen, die Karibik, Mittel- und Südamerika und den Abstecher in die Vereinigten Staaten. Überall ist der Wissenschaftler bestrebt, Wissen zu erwerben, deshalb liegen jeweils vier zufällig gezogene Wissenssteine in sechs verschiedenen Farben auf den Feldern. In identischen Farben liegen Frachtplättchen und Personen offen und verdeckt daneben. Vier unterschiedliche Schiffstypen warten auf die Wissensfracht, die Humboldt nach Europa verschifft hat. Die Schiffe benötigen bestimmte Fracht, je spezieller die Anforderungen erfüllt werden, umso mehr Siegpunkte bringt ihre Erfüllung. Außerdem gibt es zur Belohnung über ebenfalls dort ausliegende Wissenssteine Personen-Chips. Der Forscher trat auf seinen Reisen mit vielen Menschen in Kontakt, je mehr unterschiedliche Farbsets von Personen eingesammelt werden, umso mehr Punkte gibt es am Ende. Zwischendurch können die Chips zusätzlich als Jokersteine für die Reiserouten genutzt werden. Obwohl sechs verschiedene Personen im Spiel sind, werden nur Vierersets bewertet, da hätte ich mir durchaus die Option auf eine maximale Bewertung aller Farbchips gewünscht, und damit die Siegpunkte von zehn auf 21 gesteigert.
Nun kommen wir zum eigentlichen Element der Fortbewegung auf Humboldts Spuren. Der aktive Spieler greift dazu zu Beginn seines Zuges in einen Beutel und zieht darauf einen Wissensstein, dessen Farbe den Bereich festlegt, aus dem er aktuell starten müsste. Passt ihm das nicht, bekommt er eine zweite Zugmöglichkeit, die dann aber alternativlos bleibt. Die Autoren stellen sicher, dass dies ein anderer Farbbereich ist. Bis auf die Karibik und die USA lassen die zugeordneten Orte drei Startstationen zu, im roten Sektor besteht nur die Wahl zwischen Philadelphia und Washington, im braunen zwischen Havanna und Trinidad. Ist der Startort festgelegt, nimmt der Spieler am Zug von dort alle Wissenssteine in die Hand und startet á la MANCALA seine Reise. Er folgt den Wegen meist über eine, manchmal aber auch über eine alternative Route. Konkret bedeutet das, er legt Farbsteine ab, die möglichst passend zum Ort sind. Damit sind viele Wege vorprogrammiert, vom Mexico City aus geht es möglichst mit gelbem Wissen nach Veracruz und von dort mit braunem Stein nach Havanna. Wer auf Kuba startet, hat mehr Alternativen, er darf einer roten oder grauen Spur folgen. Übereinstimmungen von Wissensstein und Ort bringen Frachtplättchen in dieser Farbe, mit denen Vorgaben für Schiffsfrachten erfüllt werden. Wenn die Farbe einmal nicht passt, reist man trotzdem weiter, dies aber ohne Belohnung.
Meistens profitieren die Mitspieler von den Zügen ihrer Gegner. Reihum bedienen sie sich in den bereisten Orten von dort liegenden Steinen, sofern mindestens vier ausliegen. Diese werden im unteren Bereich der Schiffskarten abgelegt, um später damit an die Personen-Chips zu kommen. Wer keine passenden freien Plätze hat, darf keine Steine sammeln. Werden die letzten aus dem Beutel gezogen, beendet dieser Spieler mit seinem abschließenden Zug die Reise. Halbfertige Schiffsabwicklungen werden noch vorgenommen, da dürfen Frachtplättchen abgelegt und Wissensteine in Personen getauscht werden. Schlussendlich werden Personensets und restliche Plättchen in die Bilanz eingerechnet, alle Schiffe sind schon vorher auf einer Punkteleiste abgerechnet worden. Wer am weitesten vorn liegt, tritt in Humboldts Fußspuren.
Der Ablauf ist schnell verinnerlicht, Reiseplanung in Korrelation zu den Anforderungen der vier Schiffstypen, wobei man zusätzlich darauf achtet, Personen in unterschiedlichen Farben en passant mit einzusammeln. Der Glücksfaktor hängt mit den Startorten zusammen, da man nur zwei Ziehversuche hat. Die jeweilige Steinauswahl vor Ort, geschieht ebenfalls zufällig. Stimmen nur wenige Wissensfarben mit den besuchten Orten überein, fällt der Reiseertrag niedrig aus. Da sollte man dann manchmal die getroffenen Personen als Joker zur Hilfe heranziehen. Langfristige Planung ist nur bedingt möglich, da sich die Ortsschalen immer wieder leeren und verändern.
Reisen und Entdecken auf Humboldts Spuren läuft letzten Endes sehr schematisch ab. Atmosphärisch fühle ich mich nicht ins frühe 19. Jahrhundert versetzt und fahre mit dem Forscher in einer Piroge auf dem Orinoco oder erklimme mit ihm und Bonpland den Chimborazo. Letztlich bin ich nur an Farbsammlungen zur Punktgewinnung über Schiffe und Personen interessiert. Das ist spielerisch ordentlich umgesetzt. Wer mich aber vor die Alternative stellt Humboldt oder dem Venezianer Polo zu folgen, dann gefällt mir der Reiseentwurf der italienischen Kollegen Luciani und Tascini meilenweit besser.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: HUMBOLDT'S GREAT VOYAGE
Autoren: Remo Conzadori, Nestore Mangone
Grafik/Design: Dennis Lohausen
Verlag: HUCH!
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 – 4
Spielzeit: 30 - 60 Minuten
Preis: ca. 29 Euro
Spiel 85/2019
Geschrieben von Wieland Herold
um
08:40
Sonntag, 29. Dezember 2019
RES ARCANA
Thematisch betritt Tom Lehmann mit RES ARCANA ausgetretene Pfade. Magier, die mit Essenzen um Orte, Artefakte und magische Gegenstände kämpfen, kennt der Kennerspieler aus dem Effeff, um uns dann trotzdem in den Bann zu ziehen, bedarf es schon raffinierter Tricks.
Tom Lehmann schafft es durch Reduktion und Variabilität, unterstützt wird er dabei durch den begabten Grafiker Julien Delval, der sich vor allem im Fantasy- und Science-Fiction- Sektor bewegt und Bücher und Brettspiele illustriert. Die Ikonographie von RES ARCANA ist vorbildlich.
Ganze acht Artefaktkarten und ein Magier steuern für jeden Spieler den Ablauf einer Partie, wobei mit diesen Essenzen gewonnen werden, um Siegpunkte über Monumente oder Orte der Macht zu generieren. RES ARCANA ist nicht abendfüllend, sondern in maximal einer Stunde sind die notwendigen zehn Punkte erreicht.
Aus den wenigen Karten, von denen alle anfangs nur drei auf die Hand bekommen, erst in den Folgerunden kommt jeweils eine dazu, ergibt sich eine Effizienzaufgabe, die knifflig ist. Das Ausspielen der Karten kostet Ressourcen, Monumente und Orte der Macht ebenfalls, von daher ist das Ressourcenmanagement die Hauptaufgabe. Die meisten Karten bringen Effekte, die zusätzlich ergänzt werden durch wechselnde magische Gegenstände, die Ein- und Ausstieg in die Runden prägen. Daraus ergibt sich eine erstaunliche Dynamik, die sich zügig entwickelt, sodass RES ARCANA manchmal schon nach vier Durchgängen beendet sein kann.
Die klare Ikonographie, die hilfreich durch eine Übersicht erläutert wird, sorgt für einen eingängigen Ablauf von einer Ertragsphase zu der etwas längeren Aktionsphase, in der alle Artefakte ausspielen und nutzen und Monumente und Orte in Besitz nehmen, bis zum Rundenausstieg, bei dem magische Gegenstände getauscht werden. Falls beim Rundenende niemand zehn Siegpunkte erreicht hat, folgt ein weiterer Durchgang.
Die Variabilität der Kartenzusammenstellung ist groß, daher ist es zu empfehlen, die Verteilung der Artefaktkarten nicht dem Zufall zu überlassen, was im Grundspiel empfohlen wird. Ohne Draftingverfahren sind die Ergebnisse zu beliebig. Auch die Magier, von denen alle immer zwei zur Auswahl haben, bringen Varianz, wie die verschiedenen Orte der Macht, die doppelseitig zum Einsatz kommen sowie die zufällige Reihenfolge der Monumente. Damit stellen sich die Spieler von RES ARCANA stets neuen Herausforderungen, die eingetretene Abläufe gar nicht aufkommen lassen. Vom Spielrhythmus her steht aber trotzdem am Anfang die Steigerung der Effizienz bei der Ressourcenerhöhung. Ist da eine gute Maschinerie in Gang gekommen, erwerben die Akteure ihre siegpunktträchtigen Karten.
Ich bin angetan von dieser 80. Variante eines Magier-Kampfes. Der minimalistische Ansatz Tom Lehmanns überzeugt mich. Aus einem Deck von nur acht Karten das Maximum herauszuholen, wobei sogar weitere Reduzierung durch Abwerfen von Karten Sinn macht, da es dafür Ressourcen gibt, ist immer wieder reizvoll. Interaktiv ist das Ganze allerdings nicht gerade, jeder tüftelt an seiner persönlichen Optimierungsmaschine, lässt manchmal dabei anderen Essenzen zukommen oder verursacht deren Verluste. Das hält sich aber in Grenzen, sowie das Wegschnappen lukrativer Karten. Auch das Thema tritt im Rundenablauf in den Hintergrund, da reden wir nicht über Elixiere wie den Tod, Elan und Ruhe, sondern über schwarze, rote und blaue Marker. Trotzdem zündet die Zaubermischung aller Ingredienzien. In den Bann werden die meisten Spieler gezogen und machen aus Wiederholungsrunden dann doch ein abendfüllendes RES ARCANA-Erlebnis.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: RES ARCANA
Autor: Tom Lehmann
Grafik/Design: Julien Delval
Verlag: Sand Castle Games Vertrieb: Asmodee
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4
Spielzeit: 30 - 60 Minuten
Preis: ca. 25 Euro
Spiel 84/2019
Samstag, 28. Dezember 2019
FENIX
Der 75-jährige Holländer Fred Horn hat ein Faible für abstrakte Spiele. Über 30 hat er bereits veröffentlicht. Die Ideen zu FENIX hatte Horn schon vor fast 50 Jahren, er wollte damit seine Freunde, die SCHACH oder DAME liebten, an einen Tisch bringen, da sie ihre jeweiligen Favoriten nie zusammenspielen mochten. Horns Entwicklung aus dem Jahre 1973 nannte er damals STRIKE und begeisterte sogar Altmeister Randolph, der die Spielweise so neu und anders fand, dass er mit FENIX einen neuen Namen vorschlug. Das Prinzip der Auferstehung, wie ein Phönix aus der Asche, ist augenscheinlich das wesentliche Element von Horns Strategiespiel. Bisher lag diese Idee nur in einer Kleinstauflage aus dem Jahre 2005 vor, die Horn damals selbst herausgegeben hat.
HUCH! macht in einer attraktiven Umsetzung die DAME-SCHACH-Mixtur einem breiten Markt zugänglich. Wie im DAME-Spiel besitzt jeder einfache Spielsteine, Horn nennt sie Soldaten, die übereinandergestapelt zu Generälen werden und im Dreierturm sogar zum König. Wie im SCHACH-Spiel geht es darum, den König zu schlagen, der aber durch das Stapelspiel wieder auferstehen kann.
Alle starten mit 28 oder 21 Spielsteinen auf großem oder kleinem Spielfeldraster und stehen sich in Dreiecksformation gegenüber. Zu Beginn befördert jeder erst einmal drei Figuren zu Generälen und kürt einen König auf beliebigen Feldern innerhalb der eigenen Startaufstellung. Die große Schlacht treten dann beide mit 19 Soldaten an, die kleinere mit 12. Der Rang der Figuren legt die Zugweite fest. Soldaten bewegen sich nur ein einziges Feld in orthogonaler Richtung. Die Doppelsteine der Generäle ziehen wie die Dame orthogonal beliebig. Schließlich orientieren sich die Züge des Königs exakt an den Möglichkeiten des Schachspiels: Er zieht wie die Soldaten nur ein Feld, zusätzlich allerdings diagonal. Die Schlagregel entspricht wieder dem DAME-Spiel: Es gibt Schlagzwang und es wird gesprungen. Mit dem kleinen, aber wichtigen Unterschied, dass der General nicht hinter der zu schlagenden Figur landen muss, sondern weiter springen darf. Damit sind Kettensprünge leichter als im DAME-Spiel möglich. Werden Generäle geschlagen, dürfen neue befördert werden. Dieses Prinzip gilt sogar für den König, sodass darauf zu achten ist, dass die Generäle die Nähe zum einfachen Fußvolk nicht meiden, damit sie potentiell gekrönt werden können. Wer es nicht mehr schafft, einen General auf den Thron zu setzen, verliert FENIX nach 15 bis 30 Minuten.
Fred Horns DAME-SCHACH-Mixtur ist ein Leckerbissen für Liebhaber strategischer Klassiker. Kein Wunder, dass Alex Randolph begeistert von dieser Idee war und die passende Umbenennung des Spiels angeregt hat. FENIX ist näher an der klassischen DAME, was sich vor allem im Endspiel zeigt, wenn Platz auf dem Spielfeld ist und die Generäle in Kettensprüngen unter dem Gegner aufräumen. Das ist nah am Ausgang eines DAME-Duells dran. Achtjährige, die DAME kennen, sind und ohne große Erklärung schnell im Spiel. FENIX passt ausgezeichnet in die Zweipersonen-Reihe von HUCH! und hält gut mit den Spielen von Kris Burm und Klassikern wie KATARENGA und HIVE mit. Das gilt auch für das hochwertige Spielmaterial vom Spielbrett bis zu den massiven Kunststoffsteinen. FENIX steht mit im Wettbewerb um den DuAli 2019. Die Chancen auf einen der drei Spitzenplätze dürften nicht schlecht stehen. Als echte Konkurrenz sehe ich faktisch nur MANDALA und ROBIN VON LOCKSLEY. Ich bin gespannt, wo die Mitglieder des Ali Baba Spieleclubs FENIX einordnen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: FENIX
Autor: Fred Horn
Grafik/Design: Andreas Resch
Verlag: HUCH!
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2
Spielzeit: 15 - 30 Minuten
Preis: ca. 25 Euro
Spiel 83/2019
Freitag, 27. Dezember 2019
15 MEN
Das italienische Studio Pendragon, das unter dem Dach von Asmodee arbeitet, versetzt zwei bis fünf Spieler mit der Neuheit 15 MEN in die Piratenwelt von Robert Louis Stevenson. Viele werden sofort die „Buddel voll Rum“ im Ohr haben, ein Lied aus Stevensons Schatzinselbuch.
In dem intriganten Bluffspiel von Alessandro Ciceri und Emanuele Briano geht es um Mehrheiten und ums Überleben. Die eine Fraktion will gegen den Piratenkapitän meutern, die andere ihn am Ruder halten. Wer welches Ziel verfolgt, bleibt aber erst einmal im Dunkeln, nur der Käpt’n bekennt Farbe. Dies zumindest in den Partien zu viert und zu fünft, mit weniger Spielern sind die Fronten schon vorher klar.
Im eigentlichen Spiel geht es um die Suche nach Verbündeten unter den 15 Piraten, die sich an einem runden Tisch, den Round Robin, zusammengefunden haben. Anfangs sind alle Piraten neutral. Da sie verdeckt liegen, kennen wir über die Kartenrückseiten nur ihre Nationalität und Funktion auf dem Schiff. Für jede Partie wird entschieden, unter welcher Flagge diesmal das Piratenschiff unterwegs ist. Angehörige dieser Nation auf seine Seite zu ziehen, ist oft von Vorteil. Alle 15 Korsaren sind bestechlich und folgen dem meisten Geld. Dafür besitzen die Akteure zwischen fünf und sieben Goldmünzen in 1er bis 3er Werten. Das Geld wird in einer Bestechungsphase an die Piraten gebracht. Exakt eine Dublone darf dabei zu einem Seeräuber gelegt werden, um ihn zu kontrollieren. Liegen dort schon gegnerische Münzen, müssen diese überboten werden. Wobei die Bietbeschränkung mit nur einem Geldstück deutliche Grenzen setzt. Die ersten Gebote laufen fast blind ab. Mit der Kontrolle ist aber verbunden, dass man sich den bestochenen Seeräuber ansehen darf. Dann erfahren die Spieler, welchen Wert der Pirat besitzt und was für Konsequenzen es hat, wenn er aufgedeckt wird. Zusätzlich darf man sich einen Piraten links oder rechts von dem kontrollierten ansehen.
Ist alles Geld gesetzt, kommt es zum Showdown. Dafür besitzt jeder eine Kugel, die er meist nur gegen direkte Nachbarn abschießen darf. Es sei denn, er kontrolliert einen Bukanier wie den Franzosen Jaques Tavernier, der Piraten erschießt, die bis zu drei Sitzplätze weit entfernt von ihm sitzen. Nach der Schießerei offenbaren Meuterer und der loyale Anhänger des Kapitäns ihre wahre Gesinnung. Alle Überlebenden der Teams werden zusammengeführt und die jeweilige Teamstärke berechnet. Dabei werden die Boni der Schiffskarte und andere Modifikatoren mit einbezogen. So bringen mehrere Richard Hawkins Extrapunkte. Die Meuterer müssen in der Bilanz mindestens einen Punkt mehr haben als der Kapitän und sein Unterstützer, sonst war die Meuterei erfolglos und der Kapitän geht nicht über Bord.
15 Men entwickelt seinen Spielreiz durch die unterschiedlichen Charaktere, die jeweils am runden Tisch zusammenkommen. Insgesamt 29 verschiedene Piratenkarten sorgen für Variabilität. Die Kenntnis über die Freibeuter ist spielentscheidend, deshalb sollte man möglichst schnell viele Informationen zu den Karten sammeln. Einmal, um am Ende niemanden blind zu erschießen, wie zum Beispiel John Flint, der nicht stirbt, wenn auf ihn geschossen wird, zum anderen, um dadurch die Kontrolle über wichtige Figuren wie Long John Silver oder Blackbeard zu gewinnen. Der eine bringt die Kugel zurück und der andere tötet seinen Nachbarn, ohne eine zu verschwenden.
15 MEN erinnert stark an die munteren Duelle in BANG!. Die beiden italienischen Autoren sorgen für große Varianz, zu den vielen Piratenkarten kommen unterschiedliche Schiffe und Szenarien wie „Tortuga“, bei dem die Kugeln erst erworben werden müssen. Das Bietelement bringt die nötige Unterscheidung und hat seinen eigenen Reiz. Wer nur mit 1er-Werten beginnt, kann dadurch viele Karten kennenlernen, aber auch schnell überboten werden. Wer früh 3er-Werte einsetzt, sichert sich wegen der Einmünzen-Regel schon vorab Seeräuber. Letztlich ist allerdings nichts sicher, da die Fähigkeiten beim Aufdecken der Piraten immer wieder zu Veränderungen führen, so können gelegte Dublonen verschoben werden. Daraus ergibt sich ein vielschichtiger Reiz, der aber wegen der einmaligen Duellphase doch nicht ganz mit der High Noon-Stimmung von BANG! mithält.
Grafisch ist die Meuterei sehr stimmungsvoll umgesetzt. David Corsi, den wir von KINGSBURG und WAY OF THE PANDA kennen, hat brillante Piratenbilder geliefert. Die Dublonen sind große Holzchips, die Kugeln nur kleine Holzzylinder. Das Gesamtpaket ist rund und recht preiswert im Handel zu bekommen.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: 15 MEN
Autoren: Alessandro Ciceri und Emanuele Briano
Grafik/Design: David Corsi
Verlag: Pendragon Game Studio Vertrieb: Asmodee
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 - 5
Spielzeit: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 22 Euro
Spiel 82/2019
Donnerstag, 26. Dezember 2019
VILNIUS
Heike und Stefan Risthaus erfinden seit über 20 Jahren Spiele. Das Jura-Studium hat sie in Osnabrück zusammengeführt, jetzt leben sie schon gut 15 Jahre mit ihren beiden Kindern Fabia und Titus in Wolfsburg. Stefans erste Publikationen waren Siedler-Szenarien 1997. Mit OSTIA (Pro Ludo) gelang ihm 2005 sein Debüt in der Schachtel. Heike Risthaus musste nur zwei Jahre länger warten, bis BLINDES HUHN bei Kosmos erschien. Der Titel des ersten Spiels diente 2012 als Verlagsname für Kleinauflagen von Spielen, die thematisch oft im Mittelalter im Umfeld der Hanse angesiedelt waren. VISBY, RIGA, und TALLINN sind schon abgehandelt. Aktuell wird mit VILNIUS die Historie der nächsten baltischen Hauptstadt beackert. Diese Idee stammt aber aus der Feder Malte Meineckes, der u.a. „Braunschweig spielt“ mit aus der Taufe gehoben hat. Meinecke ist inzwischen nicht nur Autor bei Ostia Spiele, sondern Teilhaber am Verlag.
Waren die bisherigen Hansestädte-Spiele eher Unterhaltung für zwischendurch, bietet VILNIUS anspruchsvolle Abendbeschäftigung, die bei der Erstpartie gut zwei Stunden dauert, wenn sie nicht schnell verlorengeht. Meinecke vollzieht einen Perspektivwechsel, die Spieler schlüpfen nicht in die Rolle des Ritterordens, der ab Ende des 13. Jahrhunderts im Baltikum den Deutschordensstaat gründete. Wir agieren aus der Perspektive der Überfallenen, die sich gegen die Angriffe des Ordo Teutonicus wehren mussten. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war Vilnius allein von sieben solchen Attacken betroffen.
180 kleine Spielkarten, die fast verloren in der nicht großen Schachtel wirken, reichen Meinecke für das Hin und Her zwischen Verteidigern und Angreifern. Kooperativ versuchen zwei bis drei Mitglieder des litauischen Hochadels nach zweimaligen Durchspielen des Kartensatzes, den finalen Ansturm abzuwehren, um sich und ihre Bevölkerung zu schützen. Wie in der realen Geschichte gelingt das nur schwer und in den ersten Runden eigentlich nie.
Jeder Spieler bekommt ein eigenes Stadtviertel mit Gebäude- und Provinzkarten, außerdem kommen Einheiten- und Zielkarten hinzu. Die Komplexität des Spiels kann über die Befestigungsstärke der Stadt geregelt werden, die mit einem Wert von 14 Verteidigungspunkten starten darf, was anfangs unbedingt genutzt werden sollte. Dieser Ausgangswert kann auf neun Punkte sinken, was das Gewinnen deutlich schwerer macht.
Die meisten Karten kommen erst im Laufe des Spiels in die Auslage, eine Baracke und ein Domizil sind der Anfang. Weitere Gebäude müssen mit Gold und Werkzeugen bezahlt werden, wofür die Provinzen herhalten müssen.
Jede Runde startet mit einer Einkommensphase. Anfangs sorgt das Domizil dafür, dass diese aus fünf Karten besteht, die vom Einheiten- und/oder Provinzstapel gezogen werden. Im Anschluss folgt die Phase des Ritterordens. Jeder muss von dessen Kartenstapel eine Karte ziehen. Gebäude des Ordens werden ausgelegt und haben solange Konsequenzen, bis sie zerstört werden. Gegnerische Einheiten wie Bogenschützen, Speerkämpfer und Reiter besitzen einen Angriffswert, der in Beziehung gesetzt wird zu dem persönlichen Wert der Ordensstärke. Ist dieser niedriger, greift der Ritterorden in Phase 4 an.
Vorher kommt aber noch die eigene „Stadtphase“, in der die Verteidiger Gebäude bauen, wobei Anlegeregeln zu beachten sind, die sich dominoartig aus den Randmotiven vorhandener Karten ergeben. So passen oben an die Baracke nur der Schützenplatz und darunter Pferdeställe. Die Bauwerke erhöhen die Ordensstärke und erschweren dadurch Angriffe. Ist ein Stall errichtet, ist die Voraussetzung für die Rekrutierung von Reitern gegeben, die ebenfalls zur Verteidigung beitragen.
Zu der Angriffswelle kommt es in der vierten Phase. Falls Angriffe eintreten, gelten sie entweder der ganzen Stadt oder einem Stadtviertel. In beiden Fällen kooperieren alle miteinander, um möglichst viele Überfälle abzuwehren. Dabei werden Waffensymbole der Angreifer und Verteidiger in Beziehung gesetzt. Zeigt ein Rammbock drei Schwerter und zwei Pfeile, wären Wikinger zur Unterstützung nicht schlecht, die bringen gleich jeweils Schwerter und Pfeile mit, dann braucht es nur noch einen Boyar oder leichten Reiter, um die Bedrohung des Ordens auszuschalten. Schäden wirken sich auf die Verteidigungskarte von Vilnius aus oder Gebäude, Einheiten oder Provinzen gehen verloren. Abgerechnet werden dann noch spezielle Totenköpfe auf den gegnerischen Karten, die zum Verlust weiterer Einheiten der Verteidiger führen. Für besiegte Feinde in addierten Fünferwerten gibt es aber Provinzen als Beute, außerdem dürfen restliche Einheiten Einrichtungen des Gegners angreifen, um den dauerhaften Beeinträchtigungen zu entgehen. Vernichtete Häuser bringen ebenfalls neue Provinzkarten. Sollten dann immer noch Einheiten übrig sein, berechtigt das zu weiteren Eroberungen von Gebieten. Erst nach dieser Phase wirkt sich im Übrigen der Gebäudebau auf die höhere Ordensstärke aus, die Angriffe in den Folgerunden erschwert, dafür aber auch mächtiger macht, da sich immer mehr Ordensritter vor den Mauern drängeln.
Die Ordenskarten regulieren das Spielende. Ist der erste Stapel fast durchgespielt, stoßen die Verteidiger auf eine Verstärkungskarte des Ordens. Diese hat zur Folge, dass alle Karten erneut gemischt werden, nur die letzte bleibt liegen, diese bringt den „finalen Ansturm“. In der zweiten Kartenrunde führen einige Karten zu stärkeren Angriffen, was die Verteidigung nicht einfacher macht. Sollte VILNIUS am Ende noch Verteidigungspunkte besitzen, haben die Litauer gewonnen, im Prinzip gemeinsam, kompetitiv lässt sich aber auch ein Einzelsieger ermitteln, was der Kooperation im Vorfeld allerdings irgendwie widerspricht.
Die verschiedenen Kartenformen, die vielen Symbole machen den Zugang zu VILNIUS nicht einfach. Ein großer Tisch ist nötig für die Gesamtauslage und die persönlichen Stadtviertelausbauten. Daher braucht es mindestens eine Eingewöhnungspartie, bis man sich in die Ikonographie eingelesen und den Spielrhythmus verinnerlicht hat. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet oft die zufällige Reihenfolge der Ordenskarten. Alle wissen nur, dass sie in der allerersten Runde nicht bedroht werden. Aber schon danach kann es durch Gebäude und Angriffe des Ordens zu schweren Schäden kommen. Da muss eine vernünftige Balance bei der Kartenaufnahme der Verteidigungs- und Provinzkarten gefunden werden. Dabei lassen sich die Optionen durch Zukauf stärkerer Karten mit der Zeit verbessern, wobei die Vernetzung zwischen Gebäudebau und Personalanwerbung im Blick zu behalten ist.
Der Autor hat ein vielschichtiges Kartenspiel entworfen, das von der Gewichtigkeit her das Format einer großen Schachtel besitzen müsste, obwohl das Material fast in eine Adlung-Verpackung passen würde. Es ist etwas sperrig im Zugang, die Regeln könnten klarer sein, oft fehlt beispielhafte Bebilderung. Sind die Hürden überwunden, schafft man es vielleicht, genügend Mauern zu errichten, um die Zerstörung von VILNIUS im 14. Jahrhundert zu verhindern.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: VILNIUS
Autor: Malte Meinecke
Grafik/Design: Christian Fiore
Verlag: Ostia Spiele
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 2 - 3
Spielzeit: ca. 90 Minuten
Preis: ca. 22 Euro
Spiel 81/2019
Freitag, 20. Dezember 2019
DER KARTOGRAPH
Blöcke, Stifte, Würfel oder Karten stecken inzwischen in vielen kleinen Spieleschachteln. Wir setzen in abstraktes Umfeld Kreuze, tragen Zahlen ein und knacken Bestmarken. Thematisch gestalten wir Straßenzüge mit schönen Häusern und Poolanlagen, führen die abenteuerlustige PENNY PAPERS durch Tempel und Täler oder werkeln an abstrakten Eisenbahnstrecken und Straßen. Viele Spielideen machen Spaß, funktionieren auch solo, ein Ende der Roll & Write- oder Flip & Draw-Ära scheint noch nicht absehbar. Zumal dann, wenn wahre Perlen wie DER KARTOGRAPH herauskommen.
Angesiedelt im ROLL PLAYER-Universum, das wir aus dem Pegasus-Programm kennen, bereiten wir die nördlichen Reiche für die Übernahme des Königreichs Nalos vor. Dafür erhält jeder einen fast leeren Landschaftsplan von 11x11 Feldern mit fünf Gebirgszügen, die eventuell durch eine Ödnis ergänzt werden können. Als Kartograph der Königin folgen wir ihren Dekreten und schaffen Ländereien, die ihr gefallen. Wir legen Dörfer an, sorgen für Äcker und Wälder. Damit auch Fische zu unserer Versorgung beitragen können, arbeiten wir an Teichanlagen. Wie wir das machen, hängt von der Laune der Herrscherin ab. Mal mag sie viele kleine Wälder gut verteilt über die gesamte Landschaft, das andere Mal sollen die Waldgebiete eher am Rand des neuen Reiches liegen. Bei den Dörfern belohnt sie einmal ganz große Haufendörfer, das andere Mal liebt sie eher kleinere Weiler. Entsprechend variabel sind andere Wünsche, die sie hat.
Viel Zeit haben wir nicht. In einem Jahr muss unser Nordland fertig sein. Daher müssen wir die anstehenden vier Jahreszeiten gut nutzen. 13 Erkundungskarten und jeweils ein Hinterhalt steuern unsere Kartenzeichnungen. Eine aufgedeckte Karte enthält Vorgaben über eine oder zwei Geländearten und zeigt ein oder zwei Tetrisformen, die bis zu fünf kleine Quadrate umfassen. Je nach Wertungsvorgabe werden diese frei in das Raster eingetragen. Jeder Jahreszeit wird ein Zeitwert zugeordnet, der durch die aufgedeckten Karten erfüllt wird. Der Wert schwankt von acht Einheiten im Frühling bis zu sechs Einheiten im Winter. Da die Karten Werte bis maximal zwei Einheiten besitzen, kommen nie alle ins Spiel. Das ist auch gut so, denn zu jeder Phase wird ein Monsterüberfall gemischt, der Planungen zerstört. Da gibt es Goblinattacken oder Koboldanstürme, die ein Gegenspieler in den eigenen Plan einträgt, falls diese Karte aufgedeckt wird. Für die Wertungen haben die Monster Konsequenzen, freie Felder um Goblin & Co. herum kosten Minuspunkte. Ohne diese Überfälle wäre DER KARTOGRAPH überhaupt nicht interaktiv, jeder würde solistisch an seinen Ländereien herumtüfteln.
Am Ende der Jahreszeit wird gewertet. Der Autor Jory Adan nutzt dabei den Wertungsmechanismus, der sich in Pfisters ISLE OF SKYE bewährt hat. Jeweils zwei der vier Wertungsbereiche kommen zum Zuge, sodass jeder Sektor exakt zweimal in die Wertung einbezogen wird. Eben diese Reihenfolge ist bei der Planung im Kartographen ebenso wichtig wie bei der Legetaktik auf der schottischen Insel.
DER KARTOGRAPH ragt aus der Masse ähnlicher Spielideen heraus wie die fünf Berge auf der Landkarte, die es zu füllen gilt. Da sind viele kleine Stellschrauben, die diese Idee besonders machen. Da ist die hohe Variabilität durch 16 verschiedene Wertungskarten und die Varianz in der Entscheidung, bei manchen Karten weniger oder mehr Felder einzutragen. Wer sich für die wenigen Felder entscheidet, bekommt Goldtaler gutgeschrieben, die ebenfalls Siegpunkte bringen. An diese Taler kommt man außerdem beim Umschließen der Gebirgsfelder heran. Auch Ruinenkarten stören den geradlinigen Ablauf, da sie Vorgaben für die nächste Erkundungskarte zur Folge haben.
Adans Idee ist nicht komplex, die Regeln sind schnell verstanden. Die Komplexität ergibt sich aus der optimalen Erfüllung der jeweiligen Aufgabenstellung. Da gilt es abzuwägen, ob man sich nur auf zwei Wertungsbereiche konzentriert, um dort voll abzusahnen, oder ob man eine breite Streuung bevorzugt. Wichtig ist eventuell die frühe Goldnutzung, da sie viermal in die Wertung eingeht. Insgesamt, unterstützt durch die wunderbare grafische Umsetzung, ist DER KARTOGRAPH ein herausragendes Spiel, dessen Landschaftsentwurf ich mich morgen gerne wieder stelle. Für mich steht es auf der Ebene von WELCOME TO, besitzt aber eindeutig das bessere Regelwerk.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: DER KARTOGRAPH
Autor: Jordy Aden
Grafik/Design: Luis Francisco, Lucas Ribeiro
Verlag: Pegasus
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 1 -
Spielzeit: 30 - 45 Minuten
Preis: ca. 20 Euro
Spiel 80/2019
Dienstag, 17. Dezember 2019
POTOMAC
Zu den Klassikern der Denkaufgaben gehören die Flussüberquerungsrätsel. Mit möglichst wenig Überfahrten muss eine Gruppe zum Teil befeindeter Figuren über einen Fluss gebracht werden, wobei bestimmte Konstellationen von Gruppenmitgliedern auf einer Uferseite verboten sind. Weltweit bekannt sind Aufgabenstellungen mit Wolf, Ziege und Kohlkopf, die ein Fährmann überzusetzen hat. Gleiche Probleme gibt es in Afrika mit Gepard, Huhn und Reis.
In POTOMAC lässt der belgische Autor Simon Geoffroy fünf- bis zehnjährige Kinder kooperativ an einer ähnlichen Aufgabe tüfteln. Gleich sechs Tiere möchten den Fluss überqueren, um dann im sicheren Wald zu verschwinden. Waschbär, Rehkitz, Hase & Co. haben nur ein Problem, sie können nicht schwimmen und brauchen ein Floß als Hilfe bei der Überquerung und ein zweites Problem wartet am anderen Ufer, das ist ein Wolf, der auf und ab patrouilliert. Der Wald ist dann zwar nur noch einen Schritt entfernt, aber wie kommen die Tiere sicher dorthin?
Reine Denkleistung reicht bei POTOMAC nicht aus, da Geoffroy seine erste Spielveröffentlichung durch einen Würfel steuert. Trotzdem spielt im Vorgehen der Kinder logistische Planung eine wichtige Rolle. Dazu müssen sie die 4x5 Felder des Spielbretts im Blick behalten. In der unteren Reihe stehen erst einmal alle sechs Tiere am Ufer des Flusses. Diese Ausgangssituation macht schon deutlich, dass die kleinen Waldtiere, wunderschöne Holzfiguren, auch zu zweit auf jedem Feld stehen dürfen. Dann folgt der Fluss. In Strömungsrichtung bewegen sich dort zwei Boote nacheinander. Fährt eines über den Spielfeldrand hinaus, wird es vom Wasserfall erfasst und kommt nicht wieder, das zweite Boot dreht dann aber noch seine Runde. Auf der gegenüberliegenden Flussseite steht der Wolf auf einem der fünf Felder. Wenn er sich bewegt, wandert er stets Richtung roter oder gelber Blumenwiese. Auf vier von fünf Schutz bietenden Waldfeldern finden die Kinder kleine Bonusplättchen, die hilfreich bei der Wolfbekämpfung sind. Erst einmal muss das Waldtier-Team aber ohne Hilfskarten auskommen.
Die Würfelvorgaben sind simpel. Auf drei Würfelseiten darf ein beliebiges Tier orthogonal bewegt werden. Es darf auf ein Boot springen, es darf ein Boot verlassen, es darf in den Wald flüchten und dort ein Kärtchen aufnehmen, das alle anderen Kinder dann auch nutzen dürfen. Zwei Würfelseiten haben Wolfsbewegungen zu der jeweiligen Blumenwiese zur Folge und nur eine Würfelseite bringt das Boot um ein Feld voran.
Die Kinder gewinnen, wenn sie alle sechs Tiere in den sicheren Wald bringen. Die Gruppe verliert, wenn beide Boote weg sind und eines der Tiere noch übersetzen müsste. Sie verlieren natürlich auch, wenn der Wolf ein Tier fängt. Auch wenn POTOMAC vom Würfel gesteuert ist, gut planende Kinder haben durchaus eine Chance. Dafür sollten sie aber schnell eine oder zwei Tierfiguren in den Wald bringen, um an die Schutzkarten zu gelangen. Mit zwei davon kann ein Wolf in seiner Bewegung gestoppt werden. Die beiden andern lassen einen Sprung über den Wolf zu oder einen großen Satz direkt vom Boot in den Wald. Mit Hilfe dieser Schutzfunktionen ist die Siegchance gegeben. Kein Team kann natürlich etwas gegen drei Wolfsbewegungen hintereinander tun, zumal wenn diese nur in eine Blumenfeldrichtung gehen. Ein Hin und Her schadet meist nichts.
Die französische Firma Djeco sorgt mit schönen Holzfiguren und einer ansprechenden Grafik für eine attraktive Umsetzung der Spielidee, sodass auch Eltern Spaß daran finden, mit ihren Kindern gemeinsam die Tiere zu retten. Störend ist dabei vielleicht nur, dass die Schachtel reichlich viel Luft enthält und durchaus kleiner hätte ausfallen können.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: POTOMAC
Autor: Simon Geoffroy
Grafik/Design: Jesus Verona
Verlag: Djeco
Alter: ab 5 Jahren
Spielerzahl: 1 - 4
Spielzeit: ca. 15 Minuten
Preis: ca. 23 Euro
Spiel 79/2019
Mittwoch, 4. Dezember 2019
SMART 10
TRIVIAL PURSUIT, der Klassiker unter den Quizspielen, ist exakt vor 40 Jahren erfunden worden. Aus einem SCRABBLE-Streit heraus entwickelten die Freunde Scott Abbott und Chris Haney in Montreal ihr eigenes Brettspiel. Vier Jahre später verkauften sie allein in Kanada 2,3 Millionen Exemplare ihres Quizspiels, weltweit sind über 90 Millionen Spiele mit den Tortenstückchen verkauft worden.
Immer wieder kommen neue Quizideen auf, in letzter Zeit war vor allem das KNEIPENQUIZ von moses. erfolgreich. Mit SMART 10 setzen die österreichischen Autoren Arno Steinwender und Christoph Reiser an, nicht TRIVIAL PURSUIT vom Führungssockel zu stoßen, aber zumindest auf dem Silberplatz der Quizspiele zu gelangen. Steinwender hat schon mehrfach ein gutes Händchen für kreative Quizideen bewiesen, so beim MASS ALLER DINGE (Game Factory) oder bei der Suche nach den schrägen Seiten Europas WO IST BITTE UMTATA ?(moses.). Mit dem interaktiven QUIZ IT von Rudy Games macht er sich aktuell sogar selbst Konkurrenz . SMART 10 hat Piatnik vom finnischen Verlag Martinex übernommen, denn das Autorenduo war nicht zuerst in der Heimat erfolgreich, sondern in Skandinavien. 2017 war SMART 10 schon bestes Erwachsenenspiel des Jahres in Schweden, in diesem Jahr kam die vergleichbare Auszeichnung in Dänemark dazu. In Deutschland war SMART 10 unter den nominierten Spielen für die TOP 10 Spielzeug, konnte aber nicht gewinnen. Bei den Spielen hatten die ADVENTURE GAMES von Kosmos die Nase vorn. Die Top 10 Auszeichnung ist letztlich nur eine Marketingaktion von Spielwaren-Fachhandel und Markenherstellern zur Absatzförderung und funktioniert nur über Einreichung von Spielen.
SMART 10 nivelliert die Grundproblematik von Quizspielen, dass da einer nur leichte Fragen beantworten muss und ein anderer sich ständig über schwere Kracher ärgert. Dafür haben sich Steinwender und Reiser ein System ausgedacht, dass allen die identischen Fragen beschert, deren Beantwortung zusätzlich noch Pokerfeeling aufkommen lässt.
In einer Art Plastiksteckbox sieht man in der runden Aussparung einen Fragenkomplex mit zehn Einzelbereichen, deren Antworten mit schwarzen Plastiksteckern abgedeckt sind. Da gibt es klassische historische Fragen wie nach dem Jahrhundert von Ereignissen wie der Start der ersten Rakete, die Entdeckung Amerikas oder der Evolutionstheorie.
Das Schöne an diesem Konzept, erst einmal kann man sich die scheinbar leichten Fragen herauspicken, wobei die Box stets weiterwandert und die Stecker bei richtigen Antworten als Punkte beim Rater bleiben. Wer meint, eine schwere Frage beantworten zu können, macht das natürlich nicht sofort, sondern wartet bis die Box ein zweites Mal bei ihm ist. Aber schon die zweite Antwort ist mit dem Risiko verbunden, dass der gewonnene Stecker verloren geht, wenn sie falsch ist. Passen oder weitermachen? Das ist die Zockerfrage, die sich ab der zweiten Runde stellt und ganz drängend wird, wenn man nur noch allein in der Runde ist und die Option hat, noch drei oder vier Punkte zu gewinnen. Hier schafft SMART 10 ganz neue Spielgefühle beim Quizzen, die diesen Ansatz ganz klar aus dem Mittelmaß üblicher Quizspiele herausheben.
Neben den klassischen Fragen geht es manchmal um Reihenfolgen, wahre und falsche Aussagen und kreative Suche nach verrückten Dingen, wie den Nahrungsmitteln oder der Farbe , die in Filmtiteln fehlen. Auch nach Brettspielen wird gefahndet oder nach Phobien. Das ist vielschichtig und redaktionell recht ordentlich bearbeitet. Die Reihenfolgenfragen sind mir allerdings zu abstrakt, zumal die Steckerauflösung nicht über eine Zahl zwischen 1 und 10 hinausgeht. Wenn beispielsweise die Schauspieler vom größten bis zum kleinsten eingeordnet werden sollen, hätte ich schon gern gewusst, wie groß nun Gregory Peck wirklich war. Da stößt das minimierte System an seine Grenzen.
Der bisherige Erfolg des Spiels lässt sich sicherlich auch durch die Plastikbox erklären, die alle 100 doppelseitigen Karten aufnimmt und gut weitergereicht werden kann. Sogar an eine Spielstandsanzeige über ein kleines Räderwerk ist gedacht, die ist aber sehr schwergängig. Unzufrieden bin ich auch mit dem Verschlusssystem. Für das Öffnen und Schließen der Smartbox hält die Regel extra eine Viererfolge von Bildern parat, trotzdem macht das jedesmal Schwierigkeiten. Warum man nicht einen einfacheren Schiebemechanismus für die Klappe oder ein Scharnier gewählt hat, ist mir unklar. Das ist aber Meckern über Äußerlichkeiten, das Spielsystem selbst überzeugt und wird sicherlich auch im deutschsprachigen Bereich erfolgreich sein.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: SMART 10
Autoren: Arno Steinwender, Christoph Reiser
Grafik/Design: keine Angabe
Verlag: Piatnik
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 -8
Spielzeit: ca. 20 - 30 Minuten
Preis: ca. 25 Euro
Spiel 78/2019
Dienstag, 3. Dezember 2019
NOVA LUNA
Plagiatsdiskussionen sind nicht selten in der letzten Zeit. Häufig waren Ideen von Oink Games betroffen. Nach Essen zog Asmodee DRUNKEN SAILOR aus dem Verkehr, weil die Nähe zu FAKE ARTIST GOES TO NEW YORK zu offensichtlich war. Die Auszeichnung von WERWÖRTER, das 2019 auf der Nominierungsliste zum „Spiel des Jahres“ landete, war begleitet von einer Diskussion um die auffallende Nähe zu dem Oink-Spiel INSIDER. Zudem wurde der japanische Autor Jun Susuki, dem auch der Verlag Oink Games gehört, von Ted Alspach, der an der Entwicklung der WERWÖRTER saß, um eine Lizensierung angegangen, die er aber nicht vergeben hat.
Wie so etwas sauber läuft, zeigt Uwe Rosenberg. Der hatte Gefallen an Corné van Moorsels Legespiel HABITATS gefunden, das der Holländer 2016 in seinem Kleinverlag Cwali veröffentlicht hat. In Moorsels Spiel geht es darum einen Wildtierpark aufzubauen. Vier Geländetypen und Tiere mit spezifischen Bedürfnissen für ihre Lebensräume müssen dabei beachtet werden. Diese Grundidee wollte Rosenberg abstrakter mit seiner PATCHWORK-Funktion verbinden, die die zeitbasierte Reihenfolge der Spielzüge festlegt. Was macht Rosenberg? Er fragt Corné van Moorsel, der nichts gegen eine Verwendung seiner Idee hat, erwähnt ihn dabei nicht nur in der Regel, sondern setzt ihn auch als Co-Autor auf das Spielecover. Das ist ein ehrliches Umgehen mit den Ideen der Kollegen und beispielhaft für ein Fairplay unter Spieleautoren, das die Regel sein sollte.
Die Neuinterpretation von HABITATS als NOVA LUNA hat die Edition Spielwiese veröffentlicht. Thematisch ist das Spiel zwar eingebunden in einen Mondzyklus, über dessen Kreislauf die Zugreihenfolge reguliert wird. Im Grunde genommen ist es nun aber ein abstraktes Legespiel, in dem nicht Tiere ihre vier Lebensbereiche suchen, sondern Aufgabenplättchen ihre Erfüllung durch bestimmte Farbkombinationen. Die Plättchenaufnahme nach dem PATCHWORK-Prinzip gibt dem Spiel seinen besonderen Reiz. Je leichter ein Plättchen mehrfach erfüllt werden kann, desto höher ist sein Wert, der in Schrittlängen um die Mondbahn bemessen wird. Ausgehend von der Position einer Mondsichel dürfen die nächsten drei Kärtchen um die Mondbahn herum aufgenommen werden. Jedes Kärtchen zeigt dabei an, an welche Farbplättchen es angrenzen sollte, um Aufgaben zu erfüllen. Kleine Holzmarker dienen der Markierung und regulieren das Spielende. Wenn 20 Aufgaben erfüllt sind, endet sofort das Spiel. Der Trick besteht wie bei HABITATS darin, die Plättchen so aufzunehmen und in ein Beziehungsgefüge zu bringen, dass sie nicht nur selbst punkten, sondern auch zur Aufgabenerfüllung von Nachbarplättchen beitragen.
Was einfach klingt, ist teilweise gewöhnungsbedürftig. Die Einstiegshürden sind für manche Spieler scheinbar höher als für andere. Da muss einmal im Blick sein, dass die Ausgangskarte nur die Aufgabe enthält und selbst nicht mit in dem Farbenkarussell berücksichtigt werden darf. Außerdem gelten nicht nur direkt angrenzende Karten zur Erfüllung der Aufgabe, sondern auch längere orthogonale Ketten. Sind die Verständnishürden beseitig, ist NOVA LUNA ein anspruchsvolles Legespiel, ergänzt durch die Abwegungsüberlegungen beim Voranschreiten auf der Mondleiste. Im Spiel zu zweit und zu dritt kann mit Blick auf die Ausganssituation kalkulierter der Plättchenaufbau vorgenommen werden, da anfangs elf Plättchen um die Monduhr herum ausliegen. Zu viert treten häufiger Zwänge auf. Oft braucht man ein bestimmtes Farbplättchen, dass aber nur noch einmal im Kreislauf vorhanden ist und dann vielleicht vier Felder weit entfernt liegt. Da muss man dann auf die Auffüllung der Auswahlbahn hoffen, die eintritt, wenn nur noch ein oder zwei Plättchen ausliegen.
Das abstrakte Puzzle NOVA LUNA ist grafisch von der Berliner Edition Spielwiese wunderschön umgesetzt, der Verlag hätte allerdings größere Markierungsscheiben spendieren sollen, die fallen arg winzig aus. Spielerisch erreicht es für mich nicht ganz den PATCHWORK-Sog, ist aber durch die Synergiewirkungen, die sich aus den Plättchenkombis ergeben, nicht weit weg von Rosenbergs Duell-Klassiker.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: NOVA LUNA
Autoren: Uwe Rosenberg, Corné van Moorsel
Grafik/Design: Lukas Siegmon
Verlag: Edition Spielweise
Vertrieb: Pegasus
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 1 -4
Spielzeit: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 29 Euro
Spiel 77/2019
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