Sonntag, 13. September 2015
Nicht besonders innovativer neuer tiptoi® Stift mit Audio-Player
Der wohl größte Erfolg für Ravensburger in den letzten Jahren hängt mit der Einführung der tiptoi® Stifte zusammen. Was einst PUZZLE und MEMORY® waren, sind jetzt die Stifte mit ihren Folgeprodukten. In den letzten fünf Jahren konnten weltweit mehr als drei Millionen Stifte und rund drei Mal so viele tiptoi® Bücher, Spiele und Spielzeug verkauft werden.
Kinderzimmer ohne tiptoi® Stift sind in Deutschland fast schon die Ausnahme, knapp die Hälfte der Vier- bis Zehnjährigen spielen und lernen mit dem Stift. Auch die Bibliotheken haben sich darauf eingestellt und halten eine breite Palette von tiptoi® Produkten im Angebot. tiptoi® konnte sich mit überlegener Software und besseren Produkten gegen den inzwischen eingestellten Toystick von Noris durchsetzen und auch der verlagsübergreifend genutzte TING Hörstift ist keine echte Konkurrenz.
Die bisherigen Neuerungen bestanden beim Stift in Speicherweiterungen, der anfangs nur 464 MB umfasste. Nun stehen 3,64 GB Speicher zur Verfügung und der neue Stift wird zum Player für Hörbücher und Kinderlieder. Da kann auch dieser knapp dimensionierte Speicher wieder schnell an seine Grenzen stoßen. Vorinstalliert sind zwei Lieder und zwei Hörbücher, die bekannten "Drei Chinesen" mit ihrem Kontrabass und "Old Macdonalds Farm". Die "Olchi Detektive" sind noch unterwegs und "Tafti reist ans Ende der Welt". Weitere kann man in Zukunft in dem neuen Hörbuch- und Musikshop im tiptoi® Manager auf den Stift laden. Sie stammen von renommierten Verlagen. Ravensburger wählt sie aus und bietet sie zu handelsüblichen Preisen an. Ganz aktuell werden sie aber im Manager noch nicht angezeigt.
Der neue tiptoi® ist auf alle Fälle in der Bedienung komfortabler. Der Batteriewechsel geht leichter, der Kopfhöreranschluss ist direkt zugänglich. Auch die Spitze des Stifts ist optimiert worden. In vier verschiedenen Startersets ist der Stift für 50 Euro erhältlich.
Am Grundprinzip der Bücher hat sich nichts geändert, die neuen Produkte können natürlich mit dem alten tiptoi® Stift genutzt werden. In meinem Starterset mit dem Buch „Unsere Jahreszeiten“ gibt es die üblichen Bereiche „Entdecken“, in denen Geräusche gemacht, kurze Erläuterungen gegeben werden, die der „Spiele“-Bereich wieder aufgreift. Der Sektor „Wissen“ enthält wechselnde Sachinformationen zum Buchthema. Phantasieanregend geht es dann in der Ebene „Erzählen“ zu, musikalisch zum Mitsingen bei den "Liedern". Die illustrative Aufarbeitung der Themen ist auf gewohnt hohem Niveau. Kinder spricht der Wimmelbuch-Charakter an, der so viele Möglichkeiten des Entdeckens zulässt.
Was sich nicht verbessert hat, ist der interne Lautsprecher, der leicht blechern klingende Ton ist immer noch zu hören. Kinder stört das nicht, für sie ist es der übliche tiptoi®-Sound. Auch technisch hätte ich mir gewünscht, dass die Firma deutlichere Fortschritte macht. Nervig und nicht gerade umweltfreundlich sind die Weg-Werf-Batterien. Warum bietet Ravensburger nicht wiederaufladbare Akkus an? Mit der Zeit geht Ravensburger auch nicht mit Blick auf die jetzt viel wichtiger gewordenen Lautsprecher-Verbindungen. Bluetooth müsste Standard sein, es gibt aber nur eine altmodische Klinkenverbindung zu einem externen Lautsprecher. Auf den gering dimensionierten Speicher habe ich oben schon hingewiesen. Bei dem Erfolg des Systems hätte ich mir mutigere Schritte bei Innovationen gewünscht, so kommen die Verbesserungen eher altbacken daher.
Samstag, 12. September 2015
Lauras letzte Party
Viele Köche …
Hinter dem Pseudonym J. K. Johansson verbirgt sich gleich eine ganze Gruppe von Autoren und professionellen Drehbuchschreibern für Film und TV. Die Profis liefern ein Konstrukt ab, das wenig überzeugt. Die Zutaten stimmen zwar, aber die Tiefendimension der Akteure nicht, das bleibt alles nur oberflächlich.
Da ist Miia, einst erfolgreicher TV-Star in Finnland, zuständig für alle Internetfragen und sozialen Netzwerke. Entsprechend hat sie die Polizei auch in diesen Fragen beraten. Letztlich selbst in Abhängigkeit geraten, gibt sie die medienwirksamen Aufgaben auf und zieht sich zurück in die Provinz, wo sie an ihrer alten Schule als Sozialpädagogin arbeitet.
Welches Wunder, die Arbeit läuft ihr nach. Kaum in dem Kaff Palokaski angekommen, verschwindet ein junges Mädchen nach einer Strandparty und in den sozialen Netzwerken, in die Miia in Eigenbeschränkung nur noch einmal am Tag blickt, gibt es mit Nikke nur einen Hauptverdächtigen. Der ist Psychologe an der Schule und zudem noch Miias Bruder.
Reichlich viel Zufälle auf einmal. Natürlich spielt auch die Vergangenheit mit hinein, da in Miias und Nikkes Jugend schon einmal ein durchaus ähnlich aussehendes junges Mädchen verschwand, deren Halskette wieder auftaucht. Die restlichen Zutaten aus der Kochküche der Macher von J.K. Johanson ergeben sich aus Geschäften mit Eizellenspenden, dem Druck der Boulevardpresse und wechselnden Sexpartnern der Hauptakteurin. Letztlich ein Konstrukt ohne echtes Leben, überzeugende Charaktere und echte Spannung. Viele Macher sind nicht unbedingt Garant für spannende Lektüre. Der erste Teil der geplanten Trilogie bringt den Leser nicht viel weiter, irgendwo bleibt alles unbefriedigend, auch der Cliffhanger am Ende reizt mich nicht, mir den zweiten Teil, der im September erscheint, noch anzutun.
Wertung: **
Titel: Lauras letzte Party
Verlag: Suhrkamp Verlag
Autor: J.K. Johannson
Seiten: 266 Seiten
Preis: 8,99 Euro
Warschauer Verstrickungen
Schatten der Vergangenheit
In "Warschauer Verstrickungen" schafft Autor Miloszewski ein fast klassisches Ambiente: Mord in einem ehemaligen Kloster, quasi geschlossene Räume, eine überschaubare Zahl von Verdächtigen. Solide Ermittlungsverfahren könnten hier für den Staatsanwalt Teodor Szacki zur schnellen Klärung des Falls beitragen.
Aber nichts ist, wie es scheint. Der Mord an einem Druckereiinhaber geschah während eines Therapie-Wochende nach einer sogenannten Familienaufstellung. Alle Beteiligten schildern vergleichbare Abläufe, ein Täter innerhalb der Gruppe scheint unwahrscheinlich. Szacki setzt sich mit dem Psychodrama auseinander und macht sich auf die Suche nach dem großen Unbekannten, der zwar nicht anwesend war, aber doch irgendwie die Konstellation der Gruppe mit bestimmt hat.
Die Suche führt ihn weit zurück in die polnische Vergangenheit, in die Vorwendezeit, ins kommunistische Polen, zu dessen Stasistrukturen, die auch nach der Jahrtausendwende großen Einfluss besitzen und nun seine Arbeit bedrohen. Was beginnt, ist eine Gratwanderung zwischen Klärung des Falls und Schutz der eigenen Person, der Familie und seiner Freundin.
Die Klärung erfolgt, wie die Geschichte begann, im Kloster, in einer jetzt von Szacki vorgenommenen Familienaufstellung. Es ist keine endgültige Klärung, aber eine, die den Fall zum Abschluss bringt.
Miloszewski schreibt nicht nur einen überzeugenden Kriminalroman, er bietet Einblick in die polnischen Ermittlungsverfahren weit über den eigentlichen Fall hinaus, und in den polnischen Alltag. Das familiäre Umfeld Szackis, seine zaghaften Beziehungen, die er zu einer jungen Journalistin anknüpft, werden sensibel entwickelt. Geschickt versteht es der Autor auch, das über Szacki schwebende Damokles-Schwert der alten Mächte von Zeit zu Zeit aufblitzen zu lassen. Ein Bedrohungsszenario, das anfangs diffus bleibt, mit der Zeit aber immer konkreter wird.
Ein lesenswertes Buch.
Wertung: *****
Titel: Warschauer Verstrickungen
Verlag: Berlin Verlag
Autor: Zygmunt Miloszewski
Seiten: 448 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Träum was Böses
Doppelter Alptraum
Carol Louise Taylor macht im Nachspann ihres Debutromans deutlich, dass es durchaus eigene Erfahrungen sind, die sie in "Träum was Böses" aufgreift. Auch Sie blickt wie ihre Hauptfigur Sue auf eine Missbrauchsbeziehung zurück, aus der sie sich vier Jahre nicht lösen konnte.
Das, was sie literarisch verarbeitet, wird zu einem überzeugenden doppelten Psychodrama. Der Leser erlebt Sue in einem rückblickenden Handlungsstrang zwischen 1990 und 1992 in einer Beziehung mit einem psychopathischen jungen Schauspieler.
Die Haupthandlung verläuft 20 Jahre später. Sue hat eine 15jährige Tochter , ihr Mann ist erfolgreicher Abgeordneter, sie selbst leidet erkennbar noch unter ihrer Vorgeschichte. Alles bricht zusammen als Tochter Charlotte von einem Bus angefahren wird und ins Koma fällt. Sue macht sich auf Spurensuche, entdeckt das Tagebuch von Charlotte und erkennt, dass ihre Tochter sich umbringen wollte.
Die Entwicklungen daraus führen zu einer spannenden Ursachensuche, die Sue immer paranoider werden lässt, da immer deutlicher wird, dass alles irgendwie mit ihrer Vergangenheit zusammen hängt. Ein Puzzle aus Tagebucheinträgen, Handyaufzeichnungen, Befragungen von Freunden, die Stück für Stück aufzeigen, in welches erpresserische Geflecht Charlotte geraten ist.
Das reißerische Ende am Krankenbett der Tochter überzeugt mich zwar nicht, eindrucksvolle Charakterzeichnungen und die subtile Spurensuche machen Taylors ersten Roman zu einem guten Psychothriller, der alltäglichen Schrecken zeigt.
Wertung: ****
Titel: Träum was Böses
Verlag: Piper
Autor: Carol Louise Taylor
Seiten: 432 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Nebelkind
Spurensuche
„Nebelkind“ ist zuerst im Selbstverlag der Autorin Emelie Schepp erschienen und trat dann seinen Weg in die schwedischen Bestsellerlisten an. Ich tue mich schwer mit dem Entwurf ihrer Hauptfigur, einer erfolgreichen Staatsanwältin, die an einer Fallklärung beteiligt ist, die sie in ihre eigene Kindheit zurückführt.
Die Geschichte selbst ist spannend und entwickelt sich zu einer außergewöhnlichen und menschenverachtenden Verbrechensserie. Der Leiter des Migrationsamtes in Norrköping wird erschossen in seinem Haus aufgefunden, Einbruchspuren, die auf ein Kind hinweisen, werden gefunden. Festgenommen wird erst aber einmal nur die Frau des Ermordeten, der mehrfach hohe Geldabbuchungen nachgewiesen werden können.
Bald findet man aber die Leiche des Jungen, der am Tatort gewesen sein muss und eine seltsame Tätowierung in seinem Nacken. Die ermittelnde Staatsanwältin ist schockiert, befindet sich doch eine ähnliche Ritzung an ihrem Hals. Sie jagt fortan ihren Alpträumen nach, will erfahren, was in Ihrer Kindheit war und verlässt die gemeinsamen Ermittlungswege mit der Polizei.
Die macht einen guten Job mit glaubhaften Ermittlern, die in unterschiedliche soziale Kontexte eingebunden sind und durch die personale Erzählhaltung der Autorin treffend charakterisiert werden. Weniger glaubhaft sind die Reaktionen der Staatsanwältin, die sich bald völlig außerhalb der Gesetze stellt und am Ende eine eigene Falllösung konstruiert. Die lässt jedenfalls Platz für einen Folgeband.
Das Gesamtkonzept ist durchaus spannend, zumal Schepp auf ein Thema aufmerksam machen möchte, das Relevanz besitzt.
Wertung: ****
Titel: Nebelkind
Verlag: Blanvalet
Autor: Emelie Schepp
Seiten: 448 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Leona - Die Würfel sind gefallen
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Gute Krimis haben überzeugende Charaktere, eine stringente Handlungsentwicklung, atmosphärisches Ambiente, das noch einigermaßen nah an der Realität bleibt. Dass Polizisten in die Situation kommen, gegen sich selbst zu ermitteln, ist nicht ganz neu. Aktuell wird das perfekt umgesetzt in „Soro“ von Gary Victor, ein solcher Grundansatz ist erst einmal akzeptabel.
Nach 90 Seiten ist klar, um eine solche Konstruktion handelt es sich in Jenny Rognebys Roman „Leona“. Anfangs erleben wir nur eine fast psychotisch akkurate Polizistin, die 34jährige Leona Lindberg, Mutter von zwei Kindern, die mit der Klärung eines ungewöhnlichen Falls beauftragt wird. Ein blutüberströmtes Kind, das in einer Bank auftaucht und sieben Millionen kassiert, da eine Tonbandstimme den Geldaustausch gegen ihr Leben einfordert. Danach ist das Mädchen wie vom Erdboden verschwunden. Die Ermittlungen verlaufen erst einmal ergebnislos, warum das so ist, wird bald klar: Leona selbst ist die Drahtzieherin dieses Verbrechens.
So weit so gut, wenn es dabei bliebe, hätte sich daraus eine interessante Geschichte entwickeln können. Weniger glaubhaft erscheint ein Journalist, der die Wahrheit weiß, sie aber nicht ans Licht bringt, da er sich auf einen Rachefeldzug gegen einen Minister befindet, der ihn in seiner Jugend demütigte. Diese Schmalspurpsychologie prägt auch die Vorgeschichte Leonas, die als aufmüpfiges Kind von ihrem Vater immer wieder in einen Kellerraum gesperrt wurde. Das hat fast etwas von Michels Schuppen, nur dass Leona dort nicht schnitzt, sondern ihren Gedanken nachhängt und irgendwann lernt, sich maskenhaft anzupassen. Entsprechend negativ besetzt entwickelt sich ihr eigenes Verhältnis zu ihren Kindern, die nur ihren Mann mögen. Entsprechend reagiert Leona, führt quasi ein Doppelleben, tagsüber als Polizistin und Mutter, nachts als abhängige Spielerin, die im Netz und auch real am Pokertisch unterwegs ist.
Noch unglaubhafter ist, dass die den Fall betreuende Staatsanwältin letztlich auch Leonas Verbrechen deckt, da hilft auch die subtile Erpressung und Bestechung nicht recht weiter. Die doppelte Staatsgewalt vom Verbrechen involviert, das mag es geben, aber nicht in einer Welt, die ansonsten von Normalität geprägt ist.
Deshalb habe ich ein ambivalentes Verhältnis zu diesem Shooting-Star aus Schweden. Rogneby plant eine Trilogie um Leona, der erste Band war in Schweden ein Bestseller. Zugegeben, sie schreibt gut. Ihre wechselnde personale Erzählhaltung hat ihren Reiz. Aus dramaturgischen Gründen hält die Autorin trotz Innenperspektive erst einmal Hintergründe zurück. Leona ist absolut keine Identifikationsfigur, dazu ist sie zu brüchig, zu widersprüchlich, in ihr eigenes Lügengespinst verwirrt. Mich stört vor allem ihre fehlende Empathie nicht nur ihren Kindern gegenüber, sondern auch dem zur Tat missbrauchten Mädchen. Trotzdem mag man dieses Buch nicht aus der Hand legen und will wissen, ob sie durchkommt mit diesem Verbrechen. Daher bleibt das Buch bis zum Ende spannend und bringt auch noch einmal eine überraschende Wendung. Trotzdem reicht es nur für knappe drei Punkte.
Wertung: ***
Titel: Leona – Die Würfel sind gefallen
Verlag: Atrium
Autor: Jenny Rogneby
Seiten: 448 Seiten
Preis: 16,99 Euro
Glut und Asche
Sprachgewaltiger Autor
Manch deutschem Erfolgsautor wünschte ich nur die Hälfte der Ausdruckskraft von James Lee Burke, dann wären die Herren Fitzek, Etzold und Wolf stilistisch vielleicht zu ertragen. Burke versetzt seine Leser in eine malerische texanisch-mexikanische Grenzlandschaft hinein, deren Naturstimmung stets in Korrelation zu den dort Handelnden steht. Denn das kann er auch, Charaktere entwickeln, die glaubhaft in ihrer Boshaftigkeit, aber auch in ihrer Geradlinigkeit sind.
Da wird eine zerstückelte Leiche im Grenzland auf dem Gebiet Danny Boy Lorcas gefunden. Ein bemitleidenswerter Mensch, der dort nach Sauriereiern gräbt und die Ermordung mit ansehen musste. Bald wird klar, ein mexikanischer Kopfgeldjäger, einst in den Diensten des amerikanischen Staates, sucht den Bekannten des Zerstückelten. Aber nicht nur er, die amerikanische Waffenindustrie hat eine ganze Truppe auf ihn angesetzt, da er wohl Drohnenmissbrauch in die Weltöffentlichkeit tragen will. Kein Wunder, dass auch das FBI auf der Bildfläche erscheint und verbranntes Land hinter sich lässt. Da wird en passant die Hütte eines Massenmörders angezündet, wobei der Soziopath nun zu einem neuen Rachefeldzug antritt. Dem nicht genug, zusätzlich spielt ein ultrakonservativer Reverend noch den Grenzwächter und auch ein russischer Gangster taucht auf.
All dies spielt sich im Gebiet des alt gewordenen ehemaligen Korea-Krieg-Teilnehmers Sheriff Hackberry Holland ab, der wegsieht, wenn Flüchtlinge die Grenze passieren, aber keine wirklichen Verbrechen in seinem Distrikt übersieht. Ähnlich unverbogen ist die Asiatin Anton Ling, die zwischen den Fronten in Gefahr gerät, da sie dem Gesuchten Unterschlupf gewährte, sowie sie auch keinem über die Grenze kommenden Mexikaner die Tür weist.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich Glut und Asche , der dritte Roman der Hackberry-Holland-Reihe, von denen allerdings erst zwei auf Deutsch erschienen sind (2014, Regengötter). Wer bisher nur Burkes Romane um Dave Robicheaux kannte, sollte unbedingt sich den auf die achtzig zugehenden Holland anschauen. Hackberry ist selbst nicht frei von Schuld, hat eine Vergangenheit, die ihn oft belastet, aber genau das positioniert ihn ideal in den Ungerechtigkeiten dieses Grenzlandes.
Eindrucksvoller Roman!
Wertung: *****
Titel: Glut und Asche
Verlag: Heyne
Autor: James Lee Burke
Seiten: 704 Seiten
Preis: 17,99 Euro
Der Totenzeichner
Und noch ein Zitat - und noch ein Exkurs
Wie einst bei Heinz Ehrhardt, bei dem wir immer noch 'n Gedicht vertragen konnten, reiht Etzold ein Zitat an das andere, da läuft die Klassik-Schiene von Shakespeare zu Goethe, Wagner und Nietzsche dürfen auch nicht fehlen, sogar Hitlers 'Mein Kampf' dient als Bedienungsanleitung, da muss Musik herhalten und immer wieder leiert die Orgel Etzolds Plattitüden ab, á la der Polizei seien die Hände gebunden, die kann ja gar nicht richtig ermitteln, wie gut, dass es das organisierte Verbrechen gebe und Clara Vidalis, die ermittelnde Kommissarin, nickt das sogar noch innerlich bestätigend ab.
Neunmalklug verbreitet der Autor sein Wikipedia-Wissen, was ihn immer wieder zu Exkursen heraus fordert, so werden wir über Kannibalismus und Tätowierungen aufgeklärt, auch über die damit zusammenhängenden sexuellen Komponenten. Da müssen unnötige viele Serientäter der Weltgeschichte Bleiwüsten füllen, ohne dass damit die eigentliche Handlung vorangetrieben wird. Sie können mehr als die Hälfte des Buches einfach überspringen, Ihnen entgeht dabei nichts Wesentliches. Wo ist da die Lektorin geblieben? Oder sollte unbedingt der Termin im Juli mit über 400 bluttriefenden Seiten gehalten werden? Die offensichtlichen Fehler sprechen für sich, meistens spielt die Handlung 2014, plötzlich aber 2013. Wer einen Rückblick erwartet, sieht sich getäuscht. Nervig sind auch die fast auf jeder Seite vorkommenden Anglizismen. Ein Berliner Krimi darf durchaus mal berlinern, aber nicht durchgängig denglishen. Vergessen Sie kriminalistische Logik, bis auf die mehr als detaillierten pathologischen Befunde, kein Wunder Etzolds Frau ist Rechtsmedizinerin, stimmt ermittlungstechnisch nicht viel. Da wird einer SUV-Spur nicht mit der nötigen Stringenz nachgegangen, 'Kollateralschäden' des Täters, die Beschreibungen hätten abgeben können, werden nicht befragt.
Der eigentliche Fall ist nichts für Zartbesaitete. In der Vorgeschichte wird der Sohn des Polizeichefs von Los Angeles äußerst brutal ermordet aufgefunden. Teile seines toten Hundes sind um ihn drapiert, sein Herz ist in der Küche zum Diner vorbereitet. Zehn Jahre später in Berlin ein ähnliches Szenario, diesmal trifft es einen Bandenchef einer Rockerbande, nur sein Herz kann nicht gefunden werden. Vidalis und ihr Partner Friedrich, genannt Mac Death, ermitteln erst einmal im Bandenmilieu, schnell wird klar, dass mehr dahinter stecken muss und dass beide Fälle miteinander zu tun haben müssen.
Konzentriert sich Etzold auf den eigentlichen Fall, kommt durch wechselnde Erzählperspektiven sogar Spannung auf. Auch für das Ende hat sich Autor eine überraschende Wendung ausgedacht, die nicht jedem gefallen wird. Die formalen und stilistischen Defizite lassen aber keine bessere Bewertung als schwache zwei Sterne zu.
Wertung: **
Titel: Der Totenzeichner
Verlag: Bastei Lübbe
Autor: Veit Etzold
Seiten: 432 Seiten
Preis: 9,99 Euro
Morgenland
Historisch interessant, aber leider pilchereske Anwandlungen
Stephan Abarbanell, der Kulturchef des rbb, veröffentlicht mit Morgenland seinen ersten Roman. Der Mann versteht das Erzählgeschäft, interessant das Sujet, das er kenntnisreich auswählt. Aus der Perspektive Lilya Wasserfalls, einer jüdischen Widerstandskämpferin, die 1946 für eine Staatengründung in Palästina eintritt, werden einerseits die dortigen Probleme mit der britischen Mandatsmacht beleuchtet, andererseits geht es um das Nachkriegseuropa vor allem um Juden in Deutschland nach der Stunde Null.
Lilya wird ins besetzte Zonendeutschland geschickt, um einerseits die Situation in jüdischen Lagern zu beschreiben, andererseits ist sie auf der Suche nach einem jüdischen Wissenschaftler, der nach britischen Angaben tot sein soll, dessen Bruder aber überzeugt ist, dass er noch lebe.
Das Panorama, das Abarbanell entfaltet, ist eindrucksvoll. Nachkriegslondon, die amerikanische Zone mit München und dem Auffanglager Föhrenwald, das viergeteilte Berlin und schließlich die englische Zone mit Lüneburg und Bergen Belsen. Die Geschichte, auf deren Spuren sich Lilya setzt, ist ungewöhnlich und spannend. Sie zeigt, dass die Nazis für ihren Endsieg sehr lange noch mit jüdischen Wissenschaftlern kooperierten.
Das Drumherum wird leider begleitet von allzu viel Süßstoff. Die Beziehungskiste ist mir zu pilcheresk, die Auflösungen zu glatt. Wer ohne Happy End nicht auskommt, wird zufrieden sein. Die Zeitumstände hätten für mein Gefühl auch inhaltlich zu mehr Brüchen führen dürfen.
Wertung: ***
Titel: Morgenland
Verlag: Karl Blessing Verlag
Autor: Stephan Abarbanell
Seiten: 464 Seiten
Preis: 19,99 Euro
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